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Spaß auf der Regierungsbank? Frank Henkel und Klaus Wowereit.

© dpa

Wie gut arbeitet Rot-Schwarz?: Berlin, im Jahr des Katers

Bar 25 oder doch Altenheim? Um Berlin zu regieren, braucht man keine Visionen. Aber eine Politik, die nur improvisiert, reicht nicht. Ein Zwischenruf zur Arbeit der rot-schwarzen Koalition.

In London haben die Liberaldemokraten soeben einen geradezu klassenkämpferischen Vorschlag gemacht: Damit in der Innenstadt nicht ganze Straßenzüge veröden, weil viele superreiche Eigentümer der Stadtvillen aus Asien, Russland oder den Arabischen Emiraten nur gelegentlich vorbeischauen, fordern sie, eine Art Residenzpflicht einzuführen. Wer etwa am Eaton Place für etliche Millionen ein Häuschen gekauft hat, soll auch gefälligst dort wohnen – oder es zurückgeben an die Londoner, die sich aus ihrer eigenen Stadt herausgedrängt sehen. Man kann diese ganz und gar nicht liberale Idee der Liberalen als ein wenig spleenig abtun, als verrückt, rechtswidrig, populistisch; man sieht daran aber auch, dass herzhafte Stadtpolitik vor allem pragmatisch ist, nicht programmatisch.

In Berlin scheint die Stadtpolitik inzwischen überhaupt nichts mehr zu sein. Zu inkonsistent, einerseits, um Programmatisches darin erkennen zu können, zu ineffektiv, andererseits, um als pragmatisch zu gelten. Es ist, als wäre der Senat im Lärmschatten des Flughafendesasters in Deckung gegangen. Wo ist die sozialdemokratische Sozial- und Integrationspolitik? Man braucht nicht einmal das grobschlächtige Buch von Heinz Buschkowsky, um zu erkennen, dass hier weder der Senat, noch die Bezirke mit irgendetwas entscheidend vorankommen, auch nicht der dauerklagende Neuköllner SPD-Bürgermeister. Was macht die Wirtschaftsverwaltung seit dem Wechsel von sozialistischer zu christdemokratischer Führung, außer Verdruss? Wann kommt die Bildungssenatorin von ihrer Tingeltour durch die Schulen zurück? Wer erklärt dem Innensenator, dass er das Repräsentieren mit dem Regieren verwechselt? Wäre nicht hin und wieder ein Rücktritt zu vermelden, könnte man meinen, die Landesregierung sei im Sabbatical, nach Diktat des Koalitionsvertrages verreist.

Wie zum Beweis des regierungsamtlichen Vakuums, gelang es in der vergangenen Woche den beiden Fraktionsvorsitzenden der Koalition, die öffentliche Aufmerksamkeit mit einer willkürlich zusammengehefteten Loseblattsammlung auf sich zu ziehen. Nach einem Sommer des Sammelsuriums riefen der Sozialdemokrat Raed Saleh und der Christdemokrat Florian Graf einen „Herbst der Entscheidungen“ aus. Welchen Herbst in welchem Jahr sie damit meinten, ließen sie allerdings offen. Auffällig oft fehlen in den verteilten Papieren Termine für die Beschlüsse, und wo Jahreszahlen genannt sind, dann solche, die erst noch den nächsten Eröffnungstermin des Flughafens hinter sich lassen.

Was tun mit dem ICC?

Sofort, unverzüglich gibt es nur eins: Ein bisschen Geld ungenannter Herkunft, das breit unter die Leute gestreut wird, eine lauwarme Dusche gewissermaßen, zur wohligen Beruhigung, weil ja zu allem Ärger über die politische Erstarrung auch noch die Wasserpreise zu hoch angesetzt waren. Aber die Summe ist kleiner, als das Kartellamt ohnehin schon verfügt hat, und dass die Rechnung für die Rückzahlung wiederum die Kunden mit ihren Steuern bezahlen, nicht etwa die privaten Anteilseigner der Wasserbetriebe, steht auf keinem Blatt.

Stattdessen sind dort, in den Papieren, ein paar Passagen des fast ein Jahr alten Koalitionsvertrags zu erkennen, also Beschlüsse, die schon beschlossen waren. Werden Summen genannt, wie die zur Sanierung des nicht mehr gebrauchten Kongresszentrums ICC, sind sie erst irgendwann fällig, nach neuen Beschlüssen, die wiederum nicht terminiert sind. Und bei der bisher schon strittigen Stromnetzkommission, so ist zu lesen, aber kaum zu verstehen, verständigte man sich doch tatsächlich auf die Beteiligung eines sich in Gründung befindlichen Berliner Unternehmens mit Landesbeteiligung an den weiteren Schritten des Vergabeverfahrens. Da schütteln sich, in diesem Herbst der Entscheidungen, nicht nur die Bäume.

Wowereit macht macht fatalistische Witzchen

Kult in Berlin: Das Kater Holzig.
Kult in Berlin: Das Kater Holzig.

© Thilo Rückeis

Ein weiterer der sechs Punkte, die einen kraftvollen Neustart markieren und den Verdruss vergessen lassen sollen, betrifft die Weiterführung einer Schnellstraße von Köpenick nach Marzahn, vierspurig, damit der auf seine Erweckung wartende Flughafen auch von diesem Teil der Stadt schnell zu erreichen sein wird. Den Plan für diese „Tangentiale Verbindung Ost“ gibt es schon länger: Die Strecke wurde bereits 1969 in den „Generalverkehrsplan der Hauptstadt der DDR“ aufgenommen, da hießen die Bürgermeister Berlins noch Herbert Fechner im Osten und im Westen Klaus Schütz. Und auch in der wiedervereinigten Stadt wird seit Diepgen über das Ding diskutiert. Jetzt versuchen sich eben auch mal Graf und Saleh daran, Motto: im Affekt einen Effekt, ganz egal welcher. Aber wer hier Spurenelemente einer geordneten, abgestimmten, wohlüberlegten Politik sucht, der ist so gut wie verloren.

Im Umfeld des Senats wird diesem Eindruck vehement widersprochen, selbstverständlich, was denn auch sonst. Man mache sich ja gar keine Vorstellung davon, was da im Verborgenen alles geleistet wird! Von Klaus Wowereit etwa heißt es, dass er hart arbeite, sehr hart sogar, und vor allem: gründlich. Wer als Senator nicht bloßgestellt werden will, tue jedenfalls gut daran, sich exakt vorzubereiten, um auf die Sachfragen des Regierenden Bürgermeisters stets eine kompetente Antwort zu haben. Aber reicht das schon für eine nachvollziehbare, erfolgreiche Stadtpolitik? Auch den Geschäftsführer der Flughafengesellschaft soll Wowereit als Aufsichtsratsvorsitzender immer mal wieder auf diese Weise gepiesackt und auch bloßgestellt haben. Das Ergebnis davon: Der Flughafen wurde nicht eher fertig, sondern dessen Eröffnung nur später abgesagt. Dass er, Wowereit, jetzt dasteht als einer, der seine Hände auf Mund, Augen und Ohren zugleich gelegt haben soll, ausgerechnet er, das ärgert ihn sehr, sagen diejenigen, die ihn zu kennen meinen. Am meisten aber gräme es ihn, zwar geahnt zu haben, dass da irgendetwas nicht stimmt, aber dann doch, gegen sein Gefühl, den Verantwortlichen wenn schon nicht ganz vertraut, so aber wenigstens zugetraut zu haben, es irgendwie doch noch zu schaffen.

Nach außen hin hat sich Wowereit inzwischen allerdings der Stimmungslage der Stadt in Bezug auf den Flughafen angepasst: Er macht fatalistische Witzchen, und die Leute lachen inzwischen auch wieder mit ihm, nicht über ihn. Das mag ihn erleichtern; aber auch das trägt zum allgemeinen Eindruck der Nachlässigkeit, Unernsthaftigkeit, Abwesenheit bei.

Doch am selben Tag, an dem die Fraktionsvorsitzenden mit viel Tamtam ihre Kramkiste öffneten, waren im Roten Rathaus tatsächlich ernsthafte Zeichen politischen Lebens zu sehen. Denn bei einem recht spröde klingenden Thema, der Liegenschaftspolitik, fand der Senat in einem alten Konflikt zwischen den Abteilungen Finanzen und Stadtentwicklung zu einer Lösung, die richtungweisend sein kann für die weitere wirtschaftliche, kulturelle und lebensqualitative Entwicklung Berlins. Der Kompromiss, der da gefunden wurde, gibt dem Wort „Stadtrendite“ einen neuen, nachhaltigen Sinn, der über den konkreten Anlass hinausreicht – und auf diesen, wegen eines kleinen, noch zu behebenden Schönheitsfehlers, nicht einmal Anwendung findet.

Es geht um ein ziemlich zentrales Grundstück, gleich an der Spree gelegen zwischen Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain. Seinen Namen hat es vom Holzmarkt, den es einstmals dort gab. Prototypisch spiegelt sich hier der scheinbare Gegensatz zwischen Stein und Schein, zwischen Geld und Gefühl. Wer kommt zum Zug? Es ging hier nicht immer ganz sauber zu, aber es ist nur ein Zufall, dass ausgerechnet dieses Gelände der städtischen Müllfirma BSR gehört. Nun soll es verkauft werden – aber an wen, und zu welchem Preis? Und was soll dort hin? Im Kern stehen zwei Modelle zur Wahl: Günstig und laut oder teuer und ruhig. Für günstig und laut stehen die Macher der legendären „Bar 25“, die genau hier für ein paar Jahre den Takt des Berliner Nachtlebens mitbestimmten; heute betreiben sie auf der anderen Seite der Spree in einer Ruine das kultige „Kater Holzig“, dessen Tage schon bei der Eröffnung im vergangenen Jahr gezählt waren: Der Mietvertrag für Club und Restaurant läuft schon bald aus. Die „Bar“-Leute, als Genossenschaft organisiert, wollen das Grundstück für einen eher niedrigen Preis von einer Schweizer Pensionskasse kaufen lassen und dann pachten, um dort einen bunten Park mit Gründerzentrum, Kitas, Ateliers, Studentenwohnheim, Partyplatz und Landwirtschaft aufzubauen: Marke Kreuzberger Mischung. Für teuer und ruhig stehen ein bisher unbekannter Bieter sowie der Unternehmer Abris Lelbach, der praktischer Weise einen direkten Draht zur BSR hat: Er sitzt dort im Aufsichtsrat. Lelbach, der sein Geld vor allem mit Pflegeunternehmen verdient und einen Teil davon gerade in das Potsdamer Palais Barberini steckt, will hier Büroflächen hochziehen und, wie er sagt, zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, auch in der Intensivpflege. Dass hier ein Hospiz hinkommen soll, wie manche behaupten, sei jedoch falsch. Aber auch so ist der Kontrast krass genug, und er bringt die Frage aller Fragen plakativ auf den Punkt: Setzt Berlin auf seinen Ruf als die Hauptstadt der Hipster, oder setzt Berlin aufs ganz große Geld?

Es wird dauern, den verheerenden Eindruck der vergangenen Monate wieder wettzumachen

Wowereit, wie ihn unser Zeichner Reiner Schwalme sieht.
Wowereit, wie ihn unser Zeichner Reiner Schwalme sieht.

© Reiner Schwalme

Die Antwort des Senats: auf beides. Die Stadt erweitert ihren Handlungsspielraum, es wird nicht mehr jedes Grundstück verkauft und auch nicht zwingend zum jeweils besten Preis. Es wird „Beauty-Verfahren“ geben, bei denen nicht das höchste Gebot zieht, sondern das beste Konzept. Ein Portfolio-Ausschuss wird über die Abwicklung wachen und soll Transparenz herstellen – und bei aller Schönheit doch auch auf Wirtschaftlichkeit achten. Es wird abgewogen und entschieden – pragmatisch, nicht programmatisch, flexibel, nicht stur. Der Schönheitsfehler im Holzmarkt-Fall: Die Liegenschaften landeseigener Unternehmen sind davon noch ausgenommen.

Das ist ein Anfang, ein Jahr nach der Wahl, immerhin. Es deutet sich so etwas an wie Gestaltungswille. Doch es wird dauern, den verheerenden Eindruck der vergangenen Monate wieder wettzumachen. Der Schaden, den das Flughafendesaster verursacht hat, ist ja – ungeachtet von der Frage nach Schuld und Verantwortung – nicht allein an den Folgekosten zu bemessen. Die politische und wirtschaftliche Lähmung, die sich daraus ergab, der Vertrauens- und Ansehensverlust, das alles ist langfristig eine Hypothek. Aber das ist es auch nicht allein. Es macht sich knirschend bemerkbar, dass hier zwei Parteien mit sehr verschiedenen, gleichwohl belastenden Vorzeichen zusammengekommen sind: Der eine Teil der Koalition zeigt sich vom vielen Regieren erschöpft, immerhin ist die SPD seit 22 Jahren ununterbrochen dabei und wird so langsam, unter der neuen Führung von Partei und Fraktion, zu ihrer eigenen Opposition; und dem anderen Teil der Koalition, der CDU, haben selbst zehn Jahre des Regenerierens in der Opposition nicht gereicht, sich angemessen auf eine Rückkehr an die Regierung vorzubereiten. Zu beobachten ist ein öffentliches Traineeprogramm, Rücktritte, Affären, Kontrollverluste sind die Folgen davon. So wie die Partei hineingestolpert ist in diesen Senat, so stolpert sie jetzt auch weiter herum auf der Suche nach Licht. Nicht einmal ansatzweise ist festzustellen, dass hier seit bald einem Jahr eine Partei mitregiert, die sich selbst bürgerlich nennt.

Politik hat es in Berlin immer schwer: Zu wenig Geld, zu viele Bezirke, und dann noch Stillstand und Dynamik zugleich, nur leider jeweils immerzu dort, wo man das gerade nicht braucht. Aber die Politik macht es sich oft auch zu leicht und hat es alleine schon deswegen schwer. Die Stadt braucht keine Visionen, aber mehr als eine Politik, die nur improvisiert. Sie muss die Nichtzuständigkeit überwinden, also das Verantwortungsloch zwischen den Bezirken und der Hauptverwaltung schließen, in das so viele Probleme fallen, ohne dass sie verschwinden. Berlin zu regieren, muss auch bedeuten, Mut zu zeigen, etwas Besonderes zu tun, und das ohne den ständigen Blick auf die Beliebtheitslisten. Die Voraussetzungen für diese Koalition sind eigentlich gar nicht so schlecht. Sie hat Zeit, noch vier lange Jahre. Und ein anderer Senat, der es besser macht, ist nicht in Sicht. Ein besserer Senat, der es anders macht – das ist das Ziel.

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