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Meinung: Wie viel darf’s denn kosten, das Theater?

„Dickes Ding“ vom 12. April Wenn man beweisen müsste, dass die Berliner Kulturpolitik immer wieder an Anfällen von Provinzialität leidet, hätte man mit Rüdiger Schapers Artikel über die Finanzsorgen des Grips-Theaters und den Umgang der Kulturbehörde damit ein äußerst beredtes Indiz in den Händen.

„Dickes Ding“ vom 12. April

Wenn man beweisen müsste, dass die Berliner Kulturpolitik immer wieder an Anfällen von Provinzialität leidet, hätte man mit Rüdiger Schapers Artikel über die Finanzsorgen des Grips-Theaters und den Umgang der Kulturbehörde damit ein äußerst beredtes Indiz in den Händen. Man glaubt ja fast an einen verspäteten Aprilscherz, wenn man liest, dass das Fehlen der lächerlichen Summe von 100 000 Euro die Existenz des Grips gefährdet. Was kostet allein Kostüm- und Bühnenbild einer Inszenierung an der Deutschen Staatsoper? Es geht nicht darum mit neidischem Blick auf die finanzielle Versorgung anderer Kulturinstitutionen zu schauen, sondern nur um einen Vergleichswert. Um die Größe von 100 000 Euro einordnen zu können. Was ist uns – also der Berliner Politik – das für Kinder und Jugendliche (unsere viel zitierte Zukunft) spielende weltberühmte und vor allem für die kulturelle Bildung unserer Kinder unverzichtbare Grips-Theater wert? Dass das Grips um derartige Peanuts (sic!) kämpfen muss, ist ernsthaft eine ganz schlechte Provinzposse, die auf der Stelle abgesetzt gehört.

Günter Jankowiak, Berlin-Nikolassee

Was ist uns das Theater wert? Und warum sollten wir die dramatischen Künste einem jungen Publikum vorenthalten? Günter Jankowiak hat recht! Bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen steht nicht nur das liebe Geld zur Debatte, sondern die kultur-, bildungs- und sozialpolitische Prioritätensetzung. Denn auch in der Kulturpolitik geht es um Interessen und ihre Durchsetzung. Es geht aber auch um Entscheidungen, die die gesamte Gesellschaft, unseren Alltag, die Frage, wie wir leben wollen und wofür wir öffentliche Mittel ausgeben möchten, betreffen. Es geht um mittelfristige Konzeptionen und langfristige Perspektiven, eben um einen Gestaltungswillen. Kulturelle Bildung erfährt in diesem Zusammenhang viel Aufmerksamkeit. An Sonntagsreden mangelt es nicht; an Alltagshandeln schon.

Die Bedeutung ästhetischer Erfahrungen von der Kita über die Schule und lebenslang wird gerne betont. Einigkeit besteht auch darüber, dass kulturelle Bildung stets zwei Seiten hat: das eigene, aktive und kreative Schaffen und die Auseinandersetzung mit Kunst, die professionell gemacht ist und ihr Publikum fordert.

Strittig ist – Günter Jankowiak legt hier den Finger in die Wunde – die Frage, welcher monetäre Wert diesem behaupteten Engagement gegenübersteht. Wie viel darf's denn kosten? Und darf's ein bisschen weniger sein? So wie der Kinderteller im Restaurant: Halbe Portion und halber Preis? Theater für Kinder und Jugendliche muss und soll mit günstigen Eintritten die Schwelle niedrig halten. Theaterbesuche sollen für Kinder und Jugendliche aus allen Gesellschaftsschichten möglich sein. Auch das ist Konsens. Und es ist das erklärte Interesse der Theatermacher. Sie wollen alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft erreichen. Sie denken viel über ihr Publikum nach und sie suchen den Kontakt mit ihm. Sie erarbeiten gemeinsam Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden. Sie bieten Orte für den Austausch. Sie reflektieren und diskutieren auch mit den Jungen und Jüngsten und nehmen damit ihr Publikum oft ernster, als es gewöhnliche Theater wagen.

Aber der politische Wille scheint nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Noch immer ist es so, dass Schauspieler und Regisseure im Kinder- und Jugendtheater weniger verdienen. Noch immer ist es so, dass Produktionen für Kinder und Jugendliche bunt und brav sein dürfen und pädagogisch ins Schulcurriculum passen müssen.

Aber Kindertheater ist nicht Schule mit anderen Mitteln, Jugendtheater ist im besten Falle per se jugendgefährdend. Theater ist ein eigener Ort, es gehorcht nur seinen eigenen, nämlich den künstlerischen Gesetzen! Das hat die Politik zu respektieren. Denn die Kunst ist frei – auch die für Kinder und Jugendliche.

Kulturpolitisch ist das Grips-Theater gewollt. Es ist berühmt und berüchtigt - im besten Sinne. Es öffnet künstlerische Horizonte und bereichert die kulturelle Landschaft Berlins. Bildungspolitisch ist das Grips-Theater gewollt. Es ist ein Theater, das die Themen der wachsenden Generationen aufgreift, für sie spielt, mit ihnen auf, vor und hinter der Bühne kommuniziert. Sozialpolitisch ist das Grips-Theater gewollt. Nur im Kinder- und Jugendtheater spiegelt sich die ganze Breite der Gesellschaft mit oder ohne bildungsbürgerlichen Hintergrund, mit oder ohne Migrationshintergrund. Das gilt selbstverständlich auch für viele der anderen Berliner Kinder- und Jugendtheater, ob an der Parkaue oder im Theater Strahl, die einen wertvollen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in Berlin leisten. Es geht also nicht um 100.000 €. Es geht um die Zukunft des Kinder- und Jugendtheaters als konzertierte Aktion für das Recht der Kinder auf Kunst. Wie wär’s mit einem Leuchtturmprogramm der Kinder- und Jugendkultur? Wahrlich eine hauptstädtische Aufgabe! Möge endlich ein Licht aufgehen … Und diese Wertschätzung zu beweisen wäre Daseinsvorsorge einer Kulturpolitik, die Profil zeigen will.

— Professor Dr. Wolfgang Schneider, Direktor des

Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und Vorsitzender der ASSITEJ (Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche) Bundesrepublik Deutschland e. V.

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