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Meinung: Wie viel Patriotismus?: Ein bisschen Deutsch darf sein

Ganz so schlimm ist es nun doch nicht gekommen. Die Mark ist weg, aber die Deutschen fühlen sich nicht verlassen.

Ganz so schlimm ist es nun doch nicht gekommen. Die Mark ist weg, aber die Deutschen fühlen sich nicht verlassen. Was gab es da nicht alles an Befürchtungen! Des Deutschen Vaterland, seine Fahne, Hymne und identitätsstiftendes Nationalsymbol in einem sei die Deutsche Mark. Nun ist sie nicht mehr - und wir leben dennoch so fröhlich oder trist wie zuvor. Offensichtlich kleben unsere patriotischen Gefühle, so wir denn welche haben, an anderen Werten als jenen, die die Deutsche Bundesbank repräsentierte.

Patriotische Gefühle? In Deutschland? Brauchen wir das? Ist es ansteckend, falls ja, mit welchen Folgen? Zumindest wird darüber wieder öffentlich gesprochen und nicht wie von etwas Unanständigem. Der Außenminister tat es jüngst im Tagesspiegel, der hessische Ministerpräsident hat es vor einigen Wochen getan, und der Bundespräsident redet schon seit Amtsantritt davon.

Natürlich meinen sie nicht alle das Gleiche. Johannes Rau hat das politisch-moralische Credo "Patriot immer, Nationalist nimmer" variiert. Joschka Fischer beruft sich auf Heinrich Heine, der sich Schwarz-Rot-Gold als Standarte des freien Menschentums wünschte, und grenzt sich damit von Roland Koch ab. Dem traut er - unausgesprochen - den aufgeklärten Patriotismus nicht zu, den Koch für sich reklamiert. Ob Rau, Fischer oder Koch: Anders als noch vor, sagen wir, 15 Jahren darf man sich zu patriotischen Gefühlen bekennen und nicht mehr nur zu jenem intellektuell-kühlen Verfassungspatriotismus, den uns Jürgen Habermas allein zugestehen wollte.

Das hat natürlich mit der Wiedervereinigung zu tun, aber eben auch, im Umkehrschluss, mit der immer stärkeren Einbettung in Europa. Patriotische Gefühle vor 1989 verkniffen sich die Deutschen. Sie reduzierten sie auf Fußball (wurde immer schwieriger) und auf die Mark (war leider manchmal ziemlich großkotzig). Vermutlich wären wir heute noch nicht wiedervereinigt, wenn wir vor 1989 so viele Fähnchen geschwenkt hätten wie die Schweizer. Bei uns hätte man Böses dahinter vermutet. Von der Wiedervereinigung aus rückwärts betrachtet haben also alle Bundeskanzler, von Adenauer über Brandt bis Kohl, unserem Land den größten patriotischen Dienst dadurch erwiesen, dass sie am wenigsten von Deutschland allein und am meisten von Deutschland in Europa sprachen. Anders betrachtet: Die Diktion eines Gerhard Schröder gegenüber Brüssel hätten wir uns vor 1989 nicht leisten können - womit, nebenbei, die Frage beantwortet ist, ob wir sie uns heute leisten sollten.

Das zeigt: Der wahre Patriot macht sich nicht groß, sondern beachtet sein Maß. Patriotismus ist nie prahlerisch. Dadurch grenzt er sich schon auf den ersten Blick vom Nationalismus ab. Der Stolz, den Rau und Fischer ansprechen, ohne ihn auszusprechen, bezieht sich auf Stärken, die der Nationalist als Schwäche verachten würde: die Integration von Ausländern, die Entschädigung der Sklaven- und Zwangsarbeiter, die Durchsetzung der Menschenrechte.

Wird der Patriotismus im kommenden Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen? Was am 11. September und danach geschehen ist, macht das wahrscheinlich. Man darf dem Thema nicht ausweichen, sonst pervertieren es die Extremisten. Am Kampf gegen den Terrorismus ist Deutschland nicht mehr nur mit Geld, sondern mit Menschen beteiligt. Es ist das Wertvollste, was eine Nation im Kampf um die Menschenrechte einsetzen kann. Für jeden Staat, der sich in die internationale Allianz gegen den Terror einbringt, ist das eine patriotische Leistung - für die Staatengemeinschaft. Gibt es dann etwa eine Internationale des Patriotismus? Gilt Habermas, gilt dazu Heines Sehnsucht, gleich unter welcher Fahne, am Ende immer noch und nicht nur für uns? Ja - und deshalb ist es so selbstverständlich, dass man Patriot sein kann. Nicht muss.

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