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Wie geht es weiter mit dem Euro? Am Ende dieses Jahres ist die Zukunft der gemeinsamen Währung ungewiss.

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Wie weiter mit dem Kontinent?: Krämerseelen bringen Europa in Gefahr

Die Lösung für die Schuldenkrise steht schon in der Bibel: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", heißt es dort. Die Menschheit kann nur überleben, wenn auch Staaten einander Sünden verzeihen und großzügig helfen, schreibt Gert G. Wagner in seinem Gastkommentar.

In der Euro-Krise geht es vor allem darum, dass Anleger, Banken und Staaten wieder Vertrauen zueinander fassen. Und es geht um Hilfe vor allem für das überschuldete Griechenland. Für die Lösung der Krise finden sich sogar in der Bibel Rezepte. Denn es geht bei den aktuellen Problemen in Europa nicht nur um ökonomische Dimensionen, sondern mindestens ebenso um die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen unseres Zusammenlebens. Und zu allen Fragen des Zusammenlebens ist die Bibel immer wieder aktuell.

Sachlich betrachtet geht es nach wie vor darum, einen unkontrollierten Staatsbankrott Griechenlands zu verhindern. Dessen Folgen wären kaum prognostizierbar – hätten die Finanzmärkte mit einer Wette auf die Pleite Athens Erfolg, würden sie womöglich auch bei Italien und Spanien einen Versuch starten. Nur Rettungsschirme und Kredite der Europäischen Zentralbank helfen gegen eine unkontrollierte Kettenreaktion. Dies löst die Verschuldungsprobleme zwar nicht, macht die Sache aber kontrollierbar. Insofern kann man sagen, dass wir eigennützig handeln, wenn wir Griechenland helfen.

Das wird ja durchaus auch von der Bibel empfohlen, im Alten Testament im 3. Buch Mose. Das Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ bedeutet ja nicht nur, dass man dem Nächsten beistehen soll. Es sagt zugleich, dass man sich selbst lieben darf. Und das können wir ja besonders gut. Insofern ist das Gebot der Nächstenliebe gar nichts Besonderes. Man findet es in der einen oder anderen Form in allen großen Kulturen der Welt.

Bereits im Alten Testament werden alle Fremden, die „Gastrecht“ genießen, in das Gebot der Nächstenliebe eingeschlossen. Und in der Bergpredigt – das ist das Besondere an der christlichen Lehre – wird das Gebot der Nächstenliebe ausdrücklich auf die Fremden ausgeweitet. „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: ,Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.’“, predigte Jesus laut Matthäus-Evangelium. „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet, denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Das Lukas-Evangelium verdeutlicht das Gebot der Fremden-Liebe am Beispiel des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter.

Gert G. Wagner leitet als Vorstandsvorsitzender das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
Gert G. Wagner leitet als Vorstandsvorsitzender das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

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Dieses Gebot muss nun auch in Europa konsequent angewendet werden. Zwar sind uns die Menschen in Griechenland nicht fern, die dortige staatliche Ordnung ist es aber sehr wohl. Fast jeder will die Griechen und andere Schuldensünder für ihren laxen Umgang mit Geld bestraft sehen. Und es fällt schwer einzusehen, dass Hilfe für Griechenland letztlich in unserem eigenen Interesse ist.

An dieser Stelle sollten wir uns an die biblische Überlieferung erinnern. Die Menschheit kann nur überleben, wenn auch Staaten einander Sünden verzeihen und großzügig helfen, auch wenn es schwerfällt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat nicht nur Westeuropa, sondern ganz besonders Deutschland von Hilfen profitiert. Es folgte eine nie da gewesene Friedensperiode in Europa. Sie wird nur dann anhalten, wenn nicht Krämerseelen die europäische Geschichte bestimmen.

Der Kontinent und seine Währung brauchen eine politische und moralische Linie. Die löst zwar die gegenwärtigen Verwerfungen auf den Finanzmärkten nicht. Aber ohne eine solche Idee von der Fremden-Liebe werden die Probleme nicht zu bewältigen sein.

Gert G. Wagner leitet als Vorstandsvorsitzender das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Er ist zudem Mitglied der Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland.

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