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Meinung: Willkommen zur Braunen Woche

Von Roger Boyes, The Times

Die vergangenen 38 Tage hat Magdalena Hassan in einem malaysischen Einkaufzentrum verbracht – in einem Glaskasten, gemeinsam mit 6000 Skorpionen. Ihr selbst gewähltes Gefängnis verlässt sie nur einmal am Tag für 15 Minuten, zur Toilettenpause. Wir hingegen müssen mit der NPD leben. Und können dabei von Frau Hassan Folgendes lernen: Skorpione muss man zwar mit äußerster Vorsicht beobachten, jedoch ohne panische Angst.

Diese Gedanken kommen einem in den Kopf in Zeiten, da Berlin seine traditionelle Grüne Woche aufgibt zugunsten der noch älteren Tradition der Braunen Woche. „Der Untergang“, NPD, DVU, FlickSammlung, heute Hitler im Fernsehen („Aufstieg des Bösen“ bei RTL 2), nächste Woche Goebbels. Viel Geschichte, viel Verwirrung. Bernd Eichinger verteidigt seinen Hitler-Film mit der Aussage, er sei der Anstoß zu einer Debatte über die Vermenschlichung des Führers. Bundeskanzler Schröder verteidigt währenddessen die Flick-Schau: Sie entfache eine nützliche Debatte über Geschichtsvergessenheit und Verantwortung.

Aber diese interessanten Debatten brauchen auch eine solide Basis. „Der Untergang“ zeigt Hitler als traurigen, frustrierten, alten Mann, und lädt somit zur Vergebung ein („Schließlich war er nur ein Mensch“). Mehr noch: Er ist eine bewusste Geschichtsfälschung. Kein verantwortungsbewusster Filmemacher sollte aus dem SS-Arzt Schenk, der an Hunderten von Mauthausen-Insassen herumexperimentierte, einen Helden machen. Schon gar nicht aus dem SS-Mann Mohnke, der nach Ansicht vieler Historiker an der Tötung von Kriegsgefangenen beteiligt war. Und im Fall Flick geht es eben nicht – wie von Schröder behauptet – um das Recht der Öffentlichkeit, sich viele schöne Bilder ansehen zu dürfen. Es geht darum, ob Flick in den Zwangsarbeiterfonds hätte einzahlen sollen. Er hätte, tat es aber nicht – ein moralisches Versagen. Der Kanzler mag Flicks Gemälde feiern, aber er darf uns nicht vorheucheln, dass Flicks schäbiges Verhalten gegenüber den 60 000 Zwangsarbeitern seines Großvaters plötzlich zur Diskussion stünde.

Da die Kapazitäten für öffentliche Debatten in Deutschland begrenzt sind, wäre es mir ohnehin lieber, man würde sie nutzen, um sich einmal auf intelligente Weise mit der NPD auseinander zu setzen. Wenn diese ulkigen Typen auch nur irgendwas zu sagen haben, sollen sie doch! Wovor haben die Deutschen denn Angst?

Hitler ist tot, das hat Bernd Eichinger bestätigt. Nicht das dumme Gequatsche der NPD sollte uns Sorgen machen, sondern die neue politische Arithmetik im Osten. Wenn die Neonazis fünf bis zehn Prozent der Stimmen bekommen, die PDS etwa 25 und zwischen 40 und 45 Prozent der Menschen gar nicht erst wählen gehen, ist die Unterstützung für die Volksparteien recht überschaubar. CDU und SPD kriegen nur ein Viertel der Stimmen – und das müssen sie sich teilen. Die Frage nach der politischen Daseinsberechtigung kommt auf.

Um diese zurückzugewinnen, muss man sich der Konkurrenz in einem Ideenwettbewerb stellen. Es bringt nichts, einfach aus dem Studio zu gehen oder so zu tun, als sei die NPD ein fauliger Gestank, den man mit frischem Pinienduft aus der Dose vertreiben kann. Die Kameras fangen nur die hässlichen Glatzen auf den NPD-Märschen ein, dabei sollten sie sich besser auf die Fahrschullehrer und Zahnärzte richten, die die Partei nun in Sachsen repräsentieren. Wir sollten zuhören, was sie zu sagen haben; schließlich wurden sie demokratisch gewählt. Ausländische Investoren wenden sich bestimmt nicht von Deutschland ab, nur weil es diesen Leuten ein wenig Platz in seinen Medien einräumt. Sie wissen, offenbar besser als die Deutschen selber, dass die NPD keine ernsthafte Gefahr für die Demokratie darstellt. NPD und DVU dürfen nicht mehr in den verrauchten Hinterzimmern versteckt werden. Sie müssen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Dann nämlich werden sie es Frau Hassans Skorpionen gleichtun – und sich gegenseitig stechen.

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