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Und die Männer in Orange mussten Schwerstarbeit leisten.

© dpa

Winterdienst: Schnee und Bürgersinn

Es ist zu einfach an Tagen, an denen die Flockenpracht zum Albtraum für die Infrastruktur wird, den orangefarbenen BSR-Männchen Versagen vorzuwerfen. Sich mit ihnen zu verbünden, wäre viel besser, weil bürgersinniger.

Es war vom Schnee noch wenig zu sehen, als Klaus Wowereit am Mittwoch davon sprach, die Berliner sollten künftig selbst mit anpacken, um den Schnee zu beseitigen. Nun ist es so weit, weiß sind die Straßen, weht es in Hauseingänge und von Dächern, türmen sich Wülste am Fahrbahnrand, und alle sehen schwarz. Denn der starke, wenn auch nicht gänzlich überraschende, Wintereinbruch überfordert die Räumdienste, bringt Fahrpläne durcheinander und stürzt das mobilitätsfixierte Land ins Chaos. Es ist die Zeit für Bürgersinn.

Oder ist das zu viel verlangt? Wowereits Aufruf, dass jeder Berliner beim Schippen mithelfen müsse, ist so vermessen jedenfalls nicht. Im Prinzip wendet Berlins Regierender Bürgermeister nur John F. Kennedys berühmte Losung, dass jeder Bürger Diener seines Staates ist, auf die Verhältnisse in der Stadt an: Frage nicht, was die BSR für dich tun kann, sondern was du für die BSR tun kannst. Und das ist nur halb so ulkig, wie es klingt. Nirgendwo sind kreative Potenziale so gefragt wie hier, Ich-AGs so selbstverständlich ein Teil der Wirtschaftskraft. Nun wird das Spektrum prekärer Hilfstätigkeiten eben auch noch um den Ich-Winterdienst erweitert. Warum nicht?

Als im vergangenen Winter immer neue Kältewellen die Stadt heimsuchten und Berge an Schnee nicht weichen wollten, wurde intensiv über die Verantwortung von Hausbesitzern debattiert, die Gehwege freizuschaufeln. Wie tief sollten die Bemühungen reichen? Sollte es genügen, Neuschnee abzutragen, aber die Glätte darunter zu ignorieren? Oder sollte es die Verpflichtung geben, Eis und Schneekruste „bis auf die Platte“ abzuschlagen? Seit November gibt es ein neues Gesetz. Danach müssen Grundstückseigentümer für eine schnee- und eisfreie Gasse sorgen.

Das Gesetz ist richtig, aber die Probleme wird es nicht lösen. Es gibt auch ein Gesetz, das verbietet, Müll auf die Straße oder in Parks zu werfen. Trotzdem passiert es, und der Müll bleibt da ebenso sicher liegen wie der Schnee, der von einer Stelle nur auf eine andere geschoben wird, weil er dort weniger stört. Mit dem Unterschied, dass es in der Regel immer irgendwann wieder taut. Müll schmilzt leider nicht. Bürgersinn meint deshalb nicht nur, zu unterlassen, was verboten ist, sondern auch zu tun, was nötig ist. Wenn nur ein paar der Plastikschnipsel, zerfetzten Verpackungen und Papierreste im Stadtbild von aufmerksamen Bürgern aufgehoben und bis zum nächsten Mülleimer mitgenommen würden, hätte das einen großen Effekt. Und wenn der Nachbar oder der Räumdienst mit den Schneemassen nicht fertig werden, was kostet es einen, es für sie zu tun?

Es ist zu einfach an Tagen wie diesen, an denen die Flockenpracht zum Albtraum für die Infrastruktur wird, auf staatliche Stellen zu zeigen und den orange- farbenen BSR-Männchen Versagen vorzuwerfen. Sich mit ihnen zu verbünden, wäre viel besser, weil bürgersinniger. Denn Gesetze kriegen die Natur nicht in den Griff. In extremen Wettersituationen ist der Mensch immer allein.

Das macht auch den Zauber dieses Winteranfangs aus, gibt es ihn doch immer nur einmal im Jahr, diesen schönsten Moment des ersten Schnees. Die plötzliche Stille, die Entschleunigung und irrwitzige innere Freude über diese Veränderung isolieren uns von der Welt. Sie machen einem bewusst, dass all das Getöse, Gewimmel und Gewirbel der Stadt mehr wert ist, wenn man in ihrer Mitte steht. An Tagen wie diesen ist man kein Zuschauer mehr.

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