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Meinung: Wir machen uns schuldig

Wie viel Terror braucht die Welt noch, bis sie endlich das Morden in Darfur stoppt? / Von Wole Soyinka

Léopold Sédar Senghor, der große senegalisische Schriftsteller, hatte einen Traum. In brüderlicher Weise beschwor er die Arabité und sprach sich für eine Nord-Süd-, eine arabisch-afrikanische Zusammenarbeit der Kulturen aus:

„Ich spreche nicht einmal vom Arabismus... Ich spreche von der Arabité, jener Arabité; die das leuchtende Feuer der Werte des ewigen Beduinen ist.“

Wie sehr wäre Senghor, der humanistische Idealist, wohl heute geschockt angesichts der Pervertierung seiner Vision, die wir heute jeden Tag im Sudan besichtigen können? Wie sehr wäre er geschockt, müsste er jene Traktate lesen, in denen ein Staat sich – mit Hilfe seiner Helfershelfer – aufmacht, genau die von ihm ins Auge gefassten Partner einer optimistischen Unternehmung zu vernichten? Wenn ein Staat ganz gezielt die Eliminierung dieser kulturellen Partner einsegnet, und zwar von Partnern – so finster ist die historische Ironie –, die die ursprünglichen Bewohner dieses Landes waren, lange bevor die heutigen Prediger rassischer Überlegenheit dort anlangten?

Sie, die Anhänger einer vernichtend-gefährlichen Wahnvorstellung, von der man gehofft hatte, sie sei durch das Wissen von den monumentalen rassistischen Verbrechen der Vergangenheit widerlegt worden – der arabisch-europäischen Versklavung von und dem Handel mit der Ware „schwarzer Mensc“’, widerlegt durch die Gesetze zur Rassentrennung in der „Brave new World“ des amerikanischen Festlands, widerlegt durch die Lektionen des Holocaust, die Verbrechen im Südafrika der Apartheid und sogar durch die horrenden Ereignisse in Ruanda in jüngerer Zeit?

Es ist eindeutig die Absicht der sudanesischen Regierung, diese Rekorde der Schandhaftigkeit zu überbieten, und die Welt scheint zu akzeptieren, dass die Regierung des Sudan es verdient, hierbei erfolgreich zu sein; die Welt scheint zu akzeptieren, dass die Regierung des Sudan richtig handelt und dass eine afrikanische Nation ihren Namen der langen Liste rassistischer Infamie anfügt. Genießen Sie die brutale Direktheit und Präzision der Direktiven, wie sie in den authentischen Dokumenten enthalten sind, so wie sie im Hauptquartier eines gewissen Sheik Musa Hilal, dem anerkannten Führer der Janjaweed, gefunden wurden: „Verändern wir die Demografie von Darfur: Entleeren wir die Region all ihrer afrikanischen Stämme.“

Die Nation, die wir als Sudan kennen, gehört zwei Familien der Weltgemeinschaft an – der arabischen und der afrikanischen. Mit globaler Zustimmung haben sich diese beiden Familien jeweils eine Struktur gegeben, als „Arabische Liga“ und als „Afrikanische Union“.

Es ist erschütternd, mitansehen zu müssen, wie die eine Familie – nämlich die arabische – eine gezielte Indifferenz gegenüber dem kriminellen Verhalten eines ihrer Mitglieder zeigt, gegenüber einer Nation, die infolge historischer Entwicklung als kulturelle Brücke zwischen zwei Rassen zu dienen hätte, genauso, wie in Leopold Senghors kultureller Architektur die arabische Welt Nordafrikas die Brücke zwischen Afrika und Europa bildet. Nun legt die afrikanische Familie ihrerseits eine schändliche Untätigkeit an den Tag, die eine Wiederauflage einer historischen Entwicklung zulässt, die die Ketten kolonialer Unterwerfung schmiedete. Es existiert jedoch eine dritte, alles überragende Familie, die sich über beide Familien spannt – das sind die Vereinten Nationen.

Wenn nun ein Zweig dieser Familie der Nationen gegen die grundlegenden Normen menschlichen Anstands verstößt, ja sich geradezu daran ergötzt, diese aufzugeben, kann es da noch irgendeine Rechtfertigung für die entschuldigende Ausrede geben, „laut Protokoll müsse man zunächst einmal die Zustimmung“ dieser arroganten und herausfordernden Nation „erbitten“, einer Nation, die vor dem Gerichtshof der universellen Verdammnis längst für schuldig befunden worden ist, bevor die große Familie (die UN) sich aufmacht, ihre missbrauchten, vergewaltigten und entmenschlichten Opfer zu retten?

In diesen Tagen ist die Afrikanische Union dabei, die Menschen in Darfur ihrem Los anheimzugeben, sie liefert sie der Willkür der mordenden, vergewaltigenden, brandschatzenden Prediger einer rassistischen Doktrin aus, indem sie sogar die lächerlich schwache militärische Schutzmacht abzieht, die immerhin eine moralische Präsenz darstellte.

Die afrikanische Familie hat beschlossen zu gehorchen – mit dem Schwanz zwischen den Hinterpfoten. Der arabischen Familie obliegt – ungeachtet ihrer Platzierung auf dem Schwarzen Kontinent – die oberste moralische Pflicht, ihr Mitglied Sudan zur Ordnung zu rufen; tatsächlich aber hat sich die arabische Familie bislang hartnäckig geweigert, Sudan zurechtzuweisen, ja sie hat sogar Sanktionen gegen Sudan alle nur denkbaren Hindernisse in den Weg gelegt.

Mit welchem Recht aber bürdet der Autor dieser Zeilen der arabischen Welt diese Pflicht auf? Mit keinerlei Recht, es sei denn dem Recht, das sich auf der Autorität der Protagonisten arabischer Kultur selbst gründet, auf ihren historischen Ansprüchen wie etwa denen des selbst ernannten Arabisten, des damaligen sudanesischen Premierministers Ismail Al-Azhari, der 1965 die folgende Erklärung abgab:

„Wir sind stolz auf unsere arabische Herkunft, auf unseren Arabismus und darauf, Muslime zu sein. Die Araber kamen auf diesen Kontinent als Pioniere, um eine echte Kultur zu verbreiten wie auch gesunde Prinzipien, die bereits Aufklärung und Zivilisation überall in Afrika verbreiteten, als Europa noch im tiefen Abgrund der Dunkelheit, Unwissenheit und doktrinärer wissenschaftlicher Rückständigkeit versunken war.“

Diese hehre Erklärung hätte Leopold Sedar Senghor ohne Zweifel als seiner Idee von der Arabité gemäß unterschrieben, und sie wurde ebenfalls gemacht aus dem Bedürfnis, die arabische Rasse und ihr kulturelles Erbe in einer rassistischen Welt zu positionieren.

Doch das Bestehen auf den Werten der schwarzen Zivilisation klang nicht weniger voll, nicht weniger stolz; die Mission, das rassische Selbstbewusstsein zu stärken, wurde nicht weniger leidenschaftlich vertreten. Und deshalb ist die Frage, die wir heute der sudanesischen Regierung stellen müssen, einfach die: Wie verträgt sich das heutige Manifest der Janjaweed, der Bannerträger des Arabismus, wie verträgt sich deren Projekt kultureller Auslöschung mit Al-Azharis Manifest der Aufklärung – um nur dieses eine zu nennen?

Studieren Sie die Bände mit den Zeugenaussagen der Untersuchungskommissionen der Vereinten Nationen, studieren Sie die Dossiers, die in ganz präzisen Anklagen gegen namentlich benannte Personen in der sudanesischen Regierung und im autonomen Orden der Janjaweed mündeten – den Seelengenossen der Milosevics, der Karadzics und Mladics Osteuropas –, sagen Sie mir, ob das hehre Banner der Aufklärung Al-Azharis nicht durch seine hitleristischen Apostel beschmutzt worden ist!

Und die afrikanische Familie in all dem? Was läuft hinter verschlossenen Türen ab, wenn die Mitglieder der afrikanischen Staaten sich im Rahmen des NEPAD-Programms, der „Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“, mit sogenannten „peer-reviews“ beschäftigen und weiteren hochgelobten Strukturen, mit deren Hilfe eine gewissen Zurückhaltung gewährleistet werden soll?

Sind diese Treffen nicht eine kalte Enttäuschung für diejenigen, denen jeden Tag Gewalt angetan wird, die in den heißen und körnigen Winden Darfurs darum kämpfen, ihre Lumpen am Körper zu behalten; die unter einer erbarmungslos brennenden Sonne nach einem Tropfen Wasser lechzen; die um die Haufen trockenen Grases für ihre Kamele kämpfen, die den wütenden Angriffen der Janjaweed entkamen? Und wenn sie dann – aus lauter Verzweiflung – ihre Camps verlassen, um irgendwo ein nahrhafteres Futter zu finden, stürzen sich dann nicht die Janjaweed auf sie, um sie abzuschlachten, zu vergewaltigen, zu verstümmeln und sie des letzten Fetzens ihrer angeborenen Menschenwürde zu berauben?

Unser aller Familie, die Vereinten Nationen, die immer und immer wieder gezwungen war, zu schwören: „NIE WIEDER!“, sie trifft sich in ihrer Impotenz und debattiert steril daher. Versiegelte Anklagen gegen genau identifizierte Verbrecher gegen die Menschlichkeit sind bewundernswert, doch sie ersetzen nicht die Eindeutigkeit und die Ehrwürdigkeit der Vorbeugung. Nicht ein einziges Mitglied der UN-Familie hat bislang seine Unzufriedenheit dadurch bekundet, dass es sudanesische Diplomaten seines Landes verwiesen hätte.

Nicht ein Mitglied der Weltfamilie hat bislang verlangt, dass gegen die Jauchegrube krimineller Straflosigkeit im Sudan Sanktionen verhängt werden. Welche größere Dimension an staatlichem Terrorismus braucht die Welt eigentlich noch, um tätig zu werden, wenn eine Regierung ihre bis an die Zähne bewaffneten Helfershelfer nicht nur loslässt, sondern auch massiv unterstützt, ausrüstet und durch ihre eigenen Streitkräfte und Geheimdienste unterstützt; wenn die Beweise für eine vom Staat eingesegnete „ethnische Säuberung“ vorliegen, derartige Vorkommnisse von Zeugen belegt sind, von Organisationen der Vereinten Nationen vor Ort festgestellt und berichtet wurden; wenn die Folgen dieser Handlungen in die sudanesische Landschaft eingebrannt sind, und zwar als: Massengräber, Ruinen niedergebrannter Dörfer, vergiftete Quellen, hingeschlachtete Herden, wie auch in der dauernd wachsenden Zahl verstümmelter Überlebender, der Opfer von Massenvergewaltigungen, von überfüllten Flüchtlingslagern, in denen Massenerkrankungen herrschen?

Worte sind unsere Werkzeuge, und Schriftsteller merken rasch, wenn ein Wort ob seiner Abwesenheit oder Vermeidung laut hinausschreit. Welches ist dann jenes Wort, das die Vereinten Nationen wieder einmal sorgfältigst umschiffen? Ein Vermeiden, eine moralische Unterlassung, die in jüngerer Zeit die Ereignisse in Ruanda auslöste? Die Protokolle sind eindeutig. Sie belegen eindeutig die Dimension verbrecherischen Verhaltens gegen ein Volk, seine Kultur, ja gegen die physische Existenz des Volkes von Darfur, die die Vereinten Nationen zum Handeln zwingt.

Aber nein, Darfur liegt nicht im Herzen Europas. Darfur ist nicht das Herz Libanons und liegt nicht an den Grenzen Israels. Darfur liegt in einem der Verachtung anheimgegebenen Land, bekannt allein als die Heimat des Mangels und – gelegentlich – als ein Ort mit großen natürlichen Vorkommen. Wie heißt also dieses Wort, welches anklagt, verdammt und das sich nicht zum Schweigen bringen lässt? Wie heißt dieses Wort, für das so viele Ersatzbegriffe angehäuft werden und das doch des in ihm enthaltenen Imperativs beraubt wird, und zwar in den Korridoren und Sälen der Vereinten Nationen?

Wir dürfen nicht aufhören, uns unserer Aufgabe zu stellen, eskapistische Geister auszumachen und bloßzustellen. Diejenigen, die heute leben und die diese erneute Perfidie bezeugen, wie auch ihre geborenen oder noch ungeborenen Nachfolger, deren Aufgabe es ist, zu warnen und zu bezeugen, werden es nicht vergessen. Mögen diejenigen, deren Aufgabe es ist, die Schwachen und Hilflosen, die zeitweise Heimgesuchten zu beschützen, wenigstens Worte mobilisieren; mögen Sie darauf beharren, ihnen, die die Kontrolle über die Zukunft des Kontinents innehaben, zu sagen: Die Zukunft wird nicht vergessen, und sie wird nicht vergeben.

Während die Heere des sudanesischen Staates sich zum Endkampf in ihrem seit langem beschlossenen Vorhaben rassischer Vernichtung sammeln, wird diese Zukunft Sie, einen jeden von Ihnen und Sie alle zusammen, brandmarken als Kollaborateure und Mittäter, wenn Sie das Volk von Darfur seinem schrecklichen Schicksal überlassen, das so schrecklich blendend seinen Namen in die flehenden Dünen und Hügel Darfurs ritzt:

G E N O Z I D !

Aus dem Englischen übersetzt von Gerd Meuer.

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