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Meinung: Wir müssen mit Syrien und dem Iran reden

Die neue Weltordnung braucht Kooperation, nicht Konfrontation Von Hans-Dietrich Genscher

Die Auseinandersetzung über die Baker/Hamilton- Vorschläge führt zu der Kernfrage, wie sich die USA auf die Herausforderungen einer neuen Weltordnung einstellen. Zu Recht hatte der damalige US-Präsident George Bush Anfang der 90er Jahre von einer neuen Weltordnung gesprochen und schon 1988 rief Michail Gorbatschow vor den UN zu gemeinsamer Verantwortung auf. James Baker, der 1989 US-Außenminister wurde, gehörte zu den stärksten Befürwortern der deutschen Vereinigung und zu einem ihrer wichtigsten Gestalter. Ihn und den ihm persönlich eng verbundenen damaligen Präsidenten Bush kritisierten damals die so genannten Neocons wegen der verantwortungsvollen Haltung gegenüber Gorbatschow mit dem sie, wie die Bundesregierung, die Einheit gestalten wollten und nicht gegen ihn. Einer der Sprecher dieser Neocons hat jetzt die künftige Marschrichtung angegeben. Sein Urteil über den Bush-Krieg II gegen den Irak: „Die Idee war gut – die Ausführung schlecht!“ Und noch deutlicher zu den Baker/Hamilton-Vorschlägen: „Ich habe noch nie einen solch törichten Bericht gelesen.“

Baker aber hat als Außenminister die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, Veränderungen zum Besseren mit Dialog und Zusammenarbeit auf der Grundlage gesicherter Handlungsfähigkeit durch Schaffung stabiler Rahmenbedingungen möglich zu machen.

Die Fragen, um die es hier geht, sind von grundsätzlicher Bedeutung – natürlich für die USA, aber auch besonders für Europa, das der engste und stärkste Verbündete der USA ist.

Die Kernfrage ist und bleibt die nach der künftigen Weltordnung. Wird sie nach der Bipolarität Washington/Moskau nun eine unipolare sein, fokussiert auf Washington und von dort dominiert, oder wird sie eine multipolare sein. In allen Teilen der Welt gibt es oder entstehen neue Kraftzentren, wie Russland, Indien, China, Japan oder Brasilien. Aber auch die EU oder Asean und in Lateinamerika auch Mercosur.

Wer das Gewicht von Staaten oder regionalen Organisationen nicht zuerst militärisch definiert, sondern alle Aspekte wie Bevölkerungszahl, geografische Lage und Ausdehnung, Rohstoff- und Energievorkommen, wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit mit einbezieht und in einem militärischen Einsatz nicht die erste, sondern die letzte Option erkennt, wird von der Perspektive einer multipolaren Weltordnung ausgehen. Sie ergibt sich auch aus der globalen Interdependenz, der gegenseitigen Abhängigkeit, aus der immer engeren Vernetzung und im Informationszeitalter der immer stärkeren auch geistigen Durchdringung und daraus folgend der immer stärkeren Öffnung. Hinzukommen globale Herausforderungen wie: Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Bekämpfung von Hunger, Unwissenheit und Krankheit, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität.

Europa ist gut beraten, in dieser prinzipiellen Frage Position zu beziehen für Dialog und Zusammenarbeit, gegründet auf Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit der Staaten und auf die Achtung von Menschenrecht und Menschenwürde, das heißt für Kooperation anstelle von Konfrontation.

Bei der Überwindung des kalten Krieges haben sich Europa und die USA für diesen Weg entschieden, obwohl die Ost-West-Kontrahenten von damals in ihren Grundauffassungen und in ihren Zielen nicht gegensätzlicher hätten sein können. Der Erfolg hat diesem Ansatz seine historische Bestätigung gegeben. Europa wurde auch über die Grenzen der EU hinaus zur Kooperationsordnung. Heute weist der Baker/Hamilton-Bericht in die Richtung einer nahmittelöstlichen Kooperationsordnung, in die alle Staaten der Region mit einzubeziehen sind – die arabischen, das heißt auch Syrien, außerdem den Iran und natürlich Israel, dessen Existenzrecht für unsere Außenpolitik konstitutiv ist.

Gewiss bedarf der Baker/Hamilton-Bericht der Diskussion im Einzelnen, aber sein Grundansatz weist in Richtung Kooperation. Das ist das neue Denken, das auch die neue Weltordnung bestimmen wird. Der Kampf der Kulturen ist nicht zwangsläufig.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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