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Meinung: Wir oder die

Da mag er sich noch so ärgern – der Kanzler schont die Grünen, weil er sie braucht

Es ist guter sozialdemokratischer Brauch, die Grünen zu schelten, wenn es der eigenen Partei schlecht ergeht. Dieser Tradition sehen sich in der SPD derzeit viele verpflichtet. Über alle Parteiflügel und Strömungen hinweg hat sich Verbitterung festgefressen über den stabilen Höhenflug des Koalitionspartners in den Umfragen bei gleichzeitigem Dauertief der eigenen Werte.

Vor diesem Hintergrund häufen sich nun die Vorwürfe aus der SPD, der Partner mache sich in der Reformdebatte einen schlanken Fuß, ducke sich weg vor den Eier werfenden Anti-Hartz-Demonstranten, während man selbst ausgepfiffen wird für eine Politik, die die Grünen immer verlangt haben. Das finden viele in der SPD schlicht „zum Kotzen“, um ein Wort des Kanzlers aus dem vergangenen Jahr zu gebrauchen. Er selbst würde es heute freilich nicht mehr verwenden. Der Sozialdemokrat Schröder mag Sympathien für die Kritik an den grünen Krisengewinnlern empfinden und diese intern auch bekunden. Er mag auch die Verwunderung von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidenten Ringstorff über das lange Schweigen von Außenminister Fischer in der Reformdebatte teilen, und dies vor den eigenen Leuten scherzhaft zu erkennen geben. Als Kanzler aber muss sich Schröder in Zufriedenheitsbekundungen ergehen. Er braucht die Grünen und Fischer ja noch, vielleicht mehr denn je.

Anders als im Bundestagswahlkampf gegen Edmund Stoiber lautet Schröders Devise für 2006 nicht mehr „Ich oder er“, sondern „Wir oder die“. Wenn die Wähler vor der Personalentscheidung zwischen dem Duo Schröder/Fischer und Merkel/Westerwelle stehen, so die Hoffnung des Kanzlers, werden sie trotz allen Unmuts für die Variante mit Regierungserfahrung stimmen.

Besonders große Erfolgsaussichten bietet das Duell Fischer gegen Westerwelle, den nicht nur CSU-Chef Stoiber für einen politischen „Leichtmatrosen“ hält – ungeeignet als zweiter Steuermann in schwerer See. Ein Bruder Leichtfuß als Vizekanzler? Die Frage soll sich stellen.

All das wissen die Grünen, und deshalb braucht sich die SPD keine falschen Hoffnungen zu machen. Auf den Anspruch, die wahren Reformer der Koalition zu sein, werden Fischer und Co. für den Rest der Legislaturperiode nicht verzichten, auch wenn dies den Bremser-Vorwurf an den Reformkanzler und seine Partei impliziert. Fraktionschefin Krista Sager hat das vor der Klausur der Grünen-Abgeordneten in Bad Saarow noch einmal klar gemacht: „Tatsache ist, dass wir uns auf die sozialpolitischen Reformen frühzeitig sowohl konzeptionell als auch programmatisch vorbereitet haben und wohl auch besser vorbereitet sind.“ Die Frage ist nur, ob die Grünen diesen Reformanspruch bloß noch postulieren, oder ob sie ihn tatsächlich einlösen und dafür im Ernstfall schwere Konflikte mit der geschwächten SPD in Kauf nehmen wollen. Derzeit sieht es nicht danach aus, wie das Beispiel Pflegeversicherung zeigt. Es lässt sich ja auch so gut leben.

Bei Umfragewerten von zwölf Prozent muss die Grünen-Führung einstweilen auch keine Grundsatzdebatte über das Verhältnis zur SPD fürchten. Die teils scharfen Antworten auf die Vorwürfe der Sozialdemokraten führen in die Irre. Noch kann sich Schröder auf die Treueschwüre des Partners verlassen, noch gilt das Credo: Lieber schwächer in die Regierung, als stärker in die Opposition. Wenn aber die SPD die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verlieren sollte, könnte es schnell heißen: Lieber zweistellig in die Opposition als mit der SPD untergehen.

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