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Neue Heimat? Geflohene äthiopische Familie in Aachen

© picture alliance-dpa

Wir und "die Andern": Deutschland ist nicht länger eine Burg

Der Blick aufs Fremde ändert sich – so muss es weitergehen.

Es geht um das Dach überm Kopf für Flüchtlinge, um Deutschlands Flüchtlingspolitik allgemein und um den „Nationalsozialistischen Untergrund“, der vor drei Jahren aufgeflogen war. Der Bundestag befasst sich in dieser Woche, so könnte man sagen, mit Deutschlands Fremden. Denen, die es – noch – sind, aber vermutlich nicht ewig fremd bleiben werden: Von gut der Hälfte derer, die aktuell vor Krieg und Misshandlung fliehen, wird angenommen, dass sie bleiben. Und es geht um die, die zu Fremden gemacht wurden, Menschen, die hier seit vielen Jahren lebten, aber durch die Art, wie man mit ihnen umging und wie man sie ansah, symbolisch ausgebürgert wurden.

Kaum Konsequenzen aus NSU-Skandal

Dass die Zeit diese Wunden nicht heilt, wie der Titel eines gemeinsamen Buchs der Kinder und Frauen der NSU-Opfer lautet, muss nicht heißen, dass Heilung nicht versucht werden kann. Das offizielle Deutschland hat nach dem Schock von 2011 ihre Leiden anerkannt. Es hat die Angehörigen geehrt und mit der Aufklärung begonnen. Als sie jetzt in Berlin darüber sprachen, wurde klar, wie sehr ihnen das geholfen hat – Gamze Kubasik, Tochter des 2006 ermordeten Mehmet Kubasik, erwähnte den Gedenkstein für ihren Vater. Erst seit es ihn gebe, müsse sie den Tatort nicht mehr ängstlich meiden. Und könne wieder an ihre eigene Zukunft denken.

Es hat viele Jahre gedauert bis zum Bekennen und Anerkennen. Noch schwieriger scheint es aber noch immer zu sein, daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Der Bericht des NSU-Ausschusses, einstimmig von allen Fraktionen vor gut einem Jahr gebilligt, war ein Glanzstück der Aufarbeitung. Doch er scheint schon jetzt gründlich vergessen. Selbst eine so schlichte Empfehlung wie die, bei Anschlägen auf Minderheiten in jedem Fall möglichen politischen Motiven nachzugehen, ist noch nicht umgesetzt. In Berlin zeigte das erst kürzlich der Brandanschlag auf die Kreuzberger Mevlana-Moschee. Das aus den NSU-Ermittlungen bekannte Muster bleibt: „Fremd“ sein, heißt gefährlich sein. Dass Fremde viel häufiger selbst gefährdet sind, dafür fehlt der Blick.

Das gilt gerade wieder besonders drastisch für die Flüchtlingspolitik, die das Bundestagsplenum an diesem Donnerstag beschäftigen wird. Ein wichtiger menschlicher Faktor darin ist seit Beginn der Woche ausgeschaltet: Italiens Programm „Mare Nostrum“, das in einem Jahr zigtausende Leben gerettet hat. Natürlich ging es dabei nicht ums Geld, die neun Millionen monatlich, die Italien auf eigene Rechnung nahm, hätten auch eine Brüsseler Portokasse nicht überfordert. Es ging ums alte Burgdenken. Auch wenn nur ein Bruchteil der weltweiten Fluchtbewegungen in Europa landet: Angst machen sie trotzdem und als „Flut“ gelten sie immer. Während der deutsche Innenminister die Losung ausgibt, man werde sich auf mehr Flüchtlinge einstellen müssen, wird an den Außengrenzen der EU alles getan, damit die Zahl möglichst niedrig bleibt. Und man kann fragen, ob der Tod von immer mehr Menschen im Mittelmeer „nur“ in Kauf genommen wird oder ob er nicht gewollt ist.

Fremde am Stadtrand, randständig

Und die, die überleben? Landen in Zelten, Turnhallen oder Münchens Olympiastadion. Und demnächst wieder an den Rändern der Städte. Am Rand im doppelten Wortsinne. Wohlfahrtsorganisationen und Menschenrechtsexperten sehen die Änderungen im Bauplanungsrecht, die an diesem Donnerstag Gesetz werden sollen, daher sehr kritisch. Was einem Notstand rasch abhelfen soll, dem Fehlen von Wohnraum für eine wachsende Zahl von Flüchtlingen, wird, so fürchten sie, einen neuen schaffen. Die Änderungen werden Menschen, die lange oder für immer hierbleiben müssen, von lebenswichtigen Kontakten zu ihrer neuen Gesellschaft abschneiden und von den Möglichkeiten, sich rasch zu integrieren, was nicht nur ihnen nützen würde, sondern auch der Aufnahmegesellschaft.

Not kennt kein Gebot, heißt es.  Notlösungen allerdings sind oft langlebig und können dann erst recht unangenehme Folgen haben. Wer an den (Stadt-)Rand geschoben wird, wird leicht als Randexistenz wahrgenommen, als nicht zugehörig. Und nimmt sich womöglich selbst so wahr. Die Fortschritte der letzten Zeit – Lockerung der Arbeitsverbote, mehr Bewegungsfreiheit für Asylbewerber – könnten so neutralisiert werden. Zwei Schritte vor und drei zurück, dafür hat die Einwanderungsgesellschaft, die sich durch mehr Zuzug – vor allem aus der Ersten Welt übrigens – gerade rascher entwickelt, eigentlich keine Zeit. Aber der deutsche Blick aufs Fremde ist nicht mehr starr. Schon das ist gut.

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