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Wirbel um Wulff: Das Volk verlangt Aufklärung

Als peinlich und kleinlich empfinden manche den Wirbel, der um den Privatkredit des Bundespräsidenten veranstaltet wird. Rein formal scheint Wulff schließlich alles richtig gemacht zu haben. Das Misstrauen der Deutschen hat aber einen Grund.

Man stelle sich nur vor, Deutschland und die Welt wären nicht eben in die größte Kreditkrise aller Zeiten verstrickt. Vielleicht hätte der umstrittene Kredit des Präsidenten dann nicht auf Anhieb derart heftige Fragen nach Christian Wulffs persönlicher und politischer Kreditwürdigkeit ausgelöst. Zum historischen Pech kommt aus Wulffs Sicht gewiss noch das jahreszeitliche Unglück hinzu, demnächst die Weihnachtsansprache an sein Volk halten zu müssen. So oder so kann er dem Thema des Jahres und dem der eigenen Stunde nicht ausweichen – was dem Ritual vor Fahne und Tannenbaum immerhin eine bisher unbekannte Spannung verheißt.

Doch sind es längst nicht mehr nur die äußeren Umstände, die aus der vermeintlichen Lappalie vergangener Jahre eine Affäre machen. Keine Staatsaffäre, das beileibe nicht. Das Amt wird das Amt bleiben, so wie es einst einen zur Kabarettwitzfigur derangierten Bundespräsidenten namens Heinrich Lübke überlebt hat. Aber die Peinlichkeit im Fall Wulff wächst von Tag zu Tag. Ob eine halbe Million per Barscheck, ob ein Wechsel von der Economy zur Business Class unter Einschaltung des Inhabers der Fluglinie, ob spezielle Ferien oder nun die zu Wahlkampfzeiten 2007 hinterrücks bezahlten Anzeigen für ein Wulff-Buch mit dem pointenträchtigen Titel „Besser die Wahrheit“: Auch wenn das immer am Rande der Legalität gefingert wurde – nicht alles, was formal legal wirkt, ist für einen (Minister-)Präsidenten auch legitim.

Diese vermeintliche Bauernschläue, die doch eher der eines Winkeladvokaten gleicht, erweist sich da als politische und menschliche Dummheit. Zudem provoziert der Fall den Blick auf das Milieu. Als der wendige Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer 1998 noch anonym für einen künftigen SPD-Kanzler Gerhard Schröder werben ließ, nannte das der damalige niedersächsische CDU-Chef Wulff ein „abgekartetes Spiel“. Inzwischen mit Maschmeyer selber auf trautem Fuß, will Wulff von dem Freundschaftsdienst für das eigene „Wahrheits“-Werk nichts gewusst haben. Dem schönen, wenngleich als etwas bräsig verschrienen Flachland um Hannover verdanken sich zuletzt allerlei deutsche Karrieren. Von Schröder bis Wulff. Früher konnte man auch auf Bayern zeigen oder nach Schwaben schauen. Die Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und Lothar Späth schürten dort schon allerlei „Amigo“-Debatten. Immer spielen dabei Kleinbürgerei, eine Mischung aus Provinzialität und angestrebter Weltläufigkeit, spielen Aufsteigermentalität und die Attraktion von Wirtschaftswunderfreunden eine Rolle.

Wer allerdings glaubt, Großbürger, Adel und hergebrachte Funktionseliten seien weniger verführbar durch Geld und Geschmeide, durch Sex, Sause und Protz als der gemeine Prolet oder kleine Bürger, der irrt. Korruption war noch nie eine Klassenfrage. Man kann das in Frankreich, Italien oder England vorzüglich studieren. In Deutschland aber, wo Diktatur, Krieg und Zerstörung, wo 68er-Bewegung oder auch der Untergang der DDR die gesellschaftlichen Verhältnisse stärker als in den klassischen Demokratien durcheinandergewirbelt haben, werden Hierarchien anhaltend geprüft. Selbst steil emporgeschnellte Freiherren geraten da schnell wieder in den freien Fall, und den Präsidenten aus Großburgwedel schützen keine Schlossmauern. Das bis in die Ästhetik so Kleinliche und Peinliche der Affäre Wulff spiegelt auf der anderen Seite eben auch das beharrliche Bemühen wider um Transparenz und Rechenschaft, ja: Aufklärung.

Das ist – im doppelten Sinne – ein großes, freilich notwendiges Wort. Wobei die Aufklärer, zu denen neben den berufenen Politikern die beruflichen Journalisten gehören, durchaus mitbedenken sollten, dass hier sehr leicht auch ein gewisser (deutscher) Purismus im Spiel ist: gleichermaßen gefährdet durch Tugendwahn wie Selbstgerechtigkeit. Der Theologe Friedrich Schorlemmer nannte Wulffs Vergehen eine „lässliche Sünde“. Darauf steht nun nicht die ewige Hölle, sondern das reinigende Fegefeuer. Wie lange dieses Purgatorium noch dauert, das freilich hängt zuerst von Wulff selber ab.

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