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Meinung: Wissen sie, was sie sagen?

Für die Regierung mögen Powells Beweise altbekannt sein, für die Bürger sind sie neu

Die Überraschung des Abends kam spät. So spät, dass die meisten abgeschaltet hatten. Wer hört sich nach 80 Minuten Colin Powell noch 14 Sicherheitsratsmitglieder und den Iraker an? Ganz zum Schluss sprach Joschka Fischer: Was Powell detailliert vorgetragen habe, decke sich zu guten Teilen mit den Erkenntnissen der Bundesregierung.

Wie bitte? Amerika warnt, Saddam sei eine ernste Bedrohung, für die Bundesregierung geht von ihm derzeit keine Gefahr aus. Wie passt das zum Eingeständnis, man verfüge weitgehend über das gleiche Wissen?

Mit Geheimdienstmaterial kann man vieles anstellen, die meisten Bürger können seine Bedeutung kaum einschätzen. Bedenklich wird der öffentliche Gebrauch nicht erst, wenn Quellen gefälscht werden. Die Manipulation der öffentlichen Meinung kann bereits bei der Auswahl und Interpretation von Belegen beginnen. Oder beim Verschweigen.

Die USA tragen bisweilen zu dick auf, lesen in Abhörprotokolle und Satellitenfotos mehr hinein, als sie zwingend beweisen. Zu Recht haben die Deutschen bemängelt, die Belege für Saddams Kontakte zu Al Qaida seien dürftig. Dagegen bestreitet niemand, außer dem irakischen Außenminister, ernsthaft zwei andere Punkte: Der Irak verweigert die aktive Kooperation bei den Kontrollen. Und es gibt erdrückende Hinweise, dass Saddam verbotene Massenvernichtungswaffen besitzt; allenfalls wird diskutiert, ob dies sicher sei oder nur höchstwahrscheinlich.

Die Bundesregierung hält es umgekehrt. Sie spielt ihr Wissen herunter. Der Bundesnachrichtendienst, das macht in Berlin nicht ohne Stolz die Runde, habe entscheidende Hinweise auf die rollenden Biowaffenlabors gegeben; überhaupt sei der BND bei der Überwachung der „Proliferation“ (Weiterverbreitung) und speziell bei Chemiewaffen oft besser als die Amerikaner. Es gebe zudem einen regen Austausch mit den UN-Inspekteuren und den US-Kollegen. Die Summe aus dem, was Blix weiß, und dem, was Powell vorgelegt hat, wisse der BND auch. Und komme zum Schluss: Man müsse davon ausgehen, dass Saddam die verbotenen Waffen habe.

Gleichzeitig fällt auf, dass BND-Chef August Hanning schon lange nicht mehr öffentlich auftritt oder den Medien Hintergrundwissen zur Einschätzung anbietet. Ein politisches Sprechverbot von oben? Man muss nicht gleich, wie der CDU-Abgeordnete Friedbert Pflüger, verlangen, dass BND-Berichte für den Außenpolitischen Ausschuss öffentlich gemacht werden. Selbst in einer Demokratie dürfen brisante Details geheim bleiben. Man würde aber gern darauf vertrauen dürfen, dass die öffentliche Lageeinschätzung der Regierung sich mit ihren Erkenntnissen deckt. Der Irak sei derzeit keine Gefahr? Gesundheitsministerin Ulla Schmidt begründet die Millionen-Ausgabe für Pockenimpfschutz so: Man müsse davon ausgehen, dass Saddam Pockenvirenstämme habe und infizierte Selbstmordattentäter herschicken könne, um Deutsche anzustecken.

Der Unterschied liegt nicht im Wissen, sondern in der Bewertung. Amerika ist überzeugt, Saddam werde nie abrüsten. Das bedeutet Bruch der Resolution, also Krieg. Den lehnt Rot-Grün ab, bietet aber keine Gegenoption verlässlicher Kontrolle an: zum Beispiel 3000 statt 100 Inspekteure, über zehn Jahre statt Wochen, bei anhaltender Drohkulisse – an deren Kosten sich Berlin beteiligt.

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