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In Russland lieben sie ihn dafür...

© dpa

Wladimir Putin und die EU: Der Konflikt mit Russland ist von Dauer

Wladimir Putin, der russische Autokrat, wird innenpolitisch von einer Welle des imperialen Chauvinismus getragen. Für die EU heißt das: Die Zeit des Wunschdenkens ist vorbei. Ein Gastbeitrag

Trotz der früher schon auftretenden Reibungen zwischen der Europäischen Union und Russland hat die Ukraine-Krise die Eliten in den westlichen EU-Ländern unvorbereitet getroffen. Entsprechend zögerlich und geistesschwach reagierten sie auf die russische Aggression, indem sie sich zunächst sogar von Lobbyisten einzelner, mit Russland im großen Stil kooperierender Wirtschaftsunternehmen ihre Politik diktieren ließen. Erst konfrontiert mit der Empörung ihrer eigenen Bürger über den Tod der Passagiere des Malaysia-Airlines-Flugzeugs am 17. Juli 2014 verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, die den  Namen verdienen.

Im kriegerischen Staatsterrorismus, den Wladimir Putin in die Ukraine exportiert, wird ein Konflikt sichtbar, der – meistens latent – zwischen Russland und dem europäischen Westen von jeher ausgetragen wird. Diese zwei auf vielen Feldern geradezu konträren Kulturwelten ringen seit Jahrhunderten um die Vorherrschaft in Europa. Wie im XVII. Jahrhundert, als der Großteil des Territoriums des gegenwärtigen ukrainischen Staates zwischen Polen und Russland geteilt wurde, verläuft auch heute die „Frontlinie“ dieses Kampfes quer durch die Ukraine (und Belarus).  Das westeuropäische Uniwissen über diese grundlegenden Zusammenhänge trägt wesentlich zu politischen Fehleinschätzungen bei.

„Die Zukunft Russlands kommt aus der Vergangenheit“

So gab im Westen der Zerfall der Sowjetunion 1989-1991 Anlass zu Spekulationen über das „Ende der Geschichte“ und die „atlantische Zukunft Russlands“. Keiner hörte damals auf den in Russland bekannten Analytiker, Wladimir Pastuchow, der im Jahre 1992, als die Regierung seines ökonomisch am Boden liegenden Landes die imperiale Doktrin des von Russland kontrollierten „nahen Auslands“ offiziell formulierte, nüchtern feststellte: „Die Zukunft Russlands kommt aus Vergangenheit“. Russland, schrieb er, werde sich nicht durch Offenheit im Inneren sowie Handel und Kooperation mit der Außenwelt spontan in die westlich-liberale Richtung entwickeln, sondern doch noch zu seinem historisch vorbestimmten Imperialismus zurück finden.

Ungeachtet der antidemokratischen Entwicklung und imperialen Ausfälle Russlands (Tschetschenien, Georgien) taten die westeuropäischen Eliten meistens so, als wäre der große Nachbar im Osten so etwas wie eine Demokratie, nur „ein bisschen defekt“. Neben der erwähnten Ignoranz und dem Wunsch, im russischen politischen Kapitalismus Geschäfte zu machen, wurde diese Sichtweise zusätzlich noch durch die Tatsache getrübt, dass Russland mit den USA und internationalen Organisationen zuweilen eng zusammenarbeitete. Dies gilt selbst für Putin. Der russische Neoimperialismus im Kaukasus und im „New Eastern Europe“ (unter diesem Begriff werden Belarus, Ukraine, und Moldowa subsumiert) geht etwa mit der russischen Unterstützung des amerikanischen war on terror Hand in Hand.

Putin will die Niederlage der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert wettmachen

Mit dem Angriff auf die Ukraine schlägt Russland allerdings ein neues Kapitel in seinem Dauerkonflikt mit dem Westen auf. Es versucht jetzt ganz offen, die Niederlage der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert soweit wettzumachen wie es nur möglich ist. Die Zeit rennt ihm davon. Aufgrund neuer Entwicklungen auf dem Gas- und Ölmarkt werden die Ressourcen des durch den Verkauf von Rohstoffen nur zeitweilig gestärkten Russlands weniger Wert.

Während im Westen Europas die Kontinuität der russischen Politik immer noch missverstanden wird, nimmt der Kreml die Europäische Union als einen wegen der in ihr vorherrschenden Nationalismen schwachen, oft leicht manipulierbaren Spieler. In der Tat deutet die Union nur dann ihr immenses politisches Potenzial an, wenn das Umbringen von zwei Hundert ihrer Bürger sie aus der Bahn des gewöhnt harmonischen Denkens wirft. Auch in der gegenwärtigen Krise hat Russland die in einigen EU-Ländern starke Indifferenz gegenüber der russischen Aggression mehrfach erfolgreich ausgespielt.

Putin hat nicht vor, seine Macht abzugeben

Vor diesem Hintergrund ist wichtigste Lehre aus der Ukraine-Krise, dass die EU endlich eine außenpolitische Handlungsfähigkeit braucht, damit sie zum politischen Agieren und nicht bestenfalls zur Reaktion fähig ist. Diese Handlungsfähigkeit ist aber ausschließlich staatlichen Strukturen eigen. Um wiederum einen föderalen europäischen Souverän aufzubauen, müsste man das politische System der EU grundlegend demokratisieren. Auch diese Vorstellung überfordert die westeuropäischen Eliten.

Solange es so bleibt, so lange muss die Maxime gelten: Jeder EU-Staat, der nicht unmissverständlich für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine einsteht, trägt zum Erfolg des innenpolitisch von einer Welle des imperialen Chauvinismus getragenen russischen Autokraten bei. Die Zeit des Wunschdenkens ist vorbei. Denn für eine Demokratisierung Russlands und somit eine qualitative Verbesserung dessen Beziehungen zur EU könnten sich bestenfalls erst nach Putin Chancen ergeben. Und er hat nicht vor, seine Macht abzugeben.

- Der Autor hat seit 2002 den Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Ost- und Mitteleuropa an der Universität Regensburg inne.

Jerzy Mackow

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