zum Hauptinhalt

Meinung: Wo auch Richter nichts retten

Suhrkamp und kein Frieden: Der wahre Konflikt wird auf dem Buchmarkt ausgetragen.

Von Gregor Dotzauer

Der Krieg um Suhrkamp erinnert in mancher Hinsicht an den Krieg um den Grünen Hügel. Wohlig zitternd starrt die Öffentlichkeit auf das Hauen und Stechen und scheint gar nicht ernsthaft daran interessiert zu sein, dass sich der Pulverdampf verzieht. Sonst müsste man hinter dem schillernden Mythos ja eine weitaus weniger glänzende Wirklichkeit inspizieren.

Während bei den Bayreuther Festspielen der Unterhaltungswert des Familiendramas um die Leitungsnachfolge aber zeitweise größer war als derjenige des Geschehens auf der Bühne, muss man dem Berliner Verlag zugestehen, dass er sowohl mit seinem literarischen Programm als auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften nach jahrelangen Mühen seinen Ruf als nationale Institution erneuert hat. Es gehört nur nicht viel Divinationsgabe zu der Feststellung, dass die aktuellen Bilanzen damit wohl nicht Schritt halten.

Der scheinbare Widerspruch wird verkörpert von den Kontrahenten. Minderheitsgesellschafter Hans Barlach sieht eine grandiose Misswirtschaft am Werk und hat nun vor dem Berliner Landgericht erreicht, dass die amtierende Geschäftsführung abberufen werden soll. Ein Hebel ist dabei die unselige Vermengung von Geschäfts- und Privatinteressen, die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz durch die Vermietung ihrer Villa an den Verlag zur Last gelegt wird.

Die Mehrheitsgesellschafter, zu denen auch Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe zählen, fürchten wiederum, dass mit Barlach jemand das Regiment übernehmen könnte, der zwar lautstark behauptet, alles besser zu können, doch als Person nicht ansatzweise für den Geist von Suhrkamp steht.

Abstrakt betrachtet geht es dabei um nicht weniger als die Kunst, die Tradition zu wahren, ohne die Modernisierung zu scheuen – und dies zu einer Zeit, in der alle vertrauten Erfahrungen der Buchbranche sich verflüchtigen.

Welche Energien muss ein großer, personalintensiver Verlag, dessen Stärke das dichterische und philosophische Wort ist, auf die Digitalisierung verwenden? Wie kann er die hohe Zahl und inhaltliche Breite seiner Titel in einem die Bestände reduzierenden Buchhandel sichtbar machen? Welchen Widerhall findet er in den sich ausdünnenden Feuilletons? Was ist mit den Tochterunternehmen, dem Insel Verlag, dem Verlag der Weltreligionen, dem Jüdischen Verlag und dem Deutschen Klassiker Verlag zu tun? Und vor allem: Wie geht man mit einer Backlist um, die gleichermaßen die Lebensversicherung des Hauses ist wie eine tödliche Bedrohung? Die Lagerkosten schwellen unerbittlich an, und selbst einige der namhaftesten Suhrkamp-Autoren, Uwe Johnson oder Theodor W. Adorno, dürften nur mühsam in der Lage sein, sie in Grenzen zu halten.

Suhrkamp ist in diesem Sinn ein exemplarisches Experimentierfeld. Das wahre Drama liegt deshalb, neben allen Verletzungen, die im Schwange sind, in der lähmenden Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Jede Woche, die dabei im juristischen Schlagabtausch vergeht, wiegt wie ein ganzes Jahr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false