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Meinung: Wo das Herz schlägt

Das Wahlergebnis von Bremen zeigt: Links von der SPD ist Platz – viel Platz

Die Grünen haben die Linken in Deutschland fürs Neue geöffnet, den Umweltschutz, die Friedens- und Frauenbewegung, die globale Gerechtigkeit. Ihren parlamentarischen Anfang nahm die Bewegung in Bremen. Nach der Bürgerschaftswahl im Oktober 1979 zog erstmals ein grün-alternatives Bündnis in ein deutsches Parlament ein. Das Datum markiert den Übergang vom Drei- zum Vierparteiensystem. Es markiert auch eine andere Zäsur. Links von der SPD war auf einmal Platz, viel Platz.

Die Linkspartei will die Linken in Deutschland ins Alte einschließen. Sie will zurück in die Prä-Agenda-2010-Zeit, orientiert sich am Ideal des allumfassenden Sozialstaates. Nun ist sie mit stolzen 8,7 Prozent erstmals in ein westdeutsches Parlament eingezogen. Wieder könnte im kleinen Bremen Parteiengeschichte geschrieben worden sein. Das Fünfparteiensystem scheint sich zu etablieren. Denn links von der SPD ist plötzlich noch mehr Platz. Für Grüne und Linkspartei hat in Bremen rund ein Viertel aller Wähler votiert. So stark war die Nicht-SPD-Linke bislang allenfalls in einigen Ostländern.

Wären die Sozialdemokraten anfällig für starke Gefühle, müsste sie das Bremer Ergebnis schockieren. Es belegt erneut, wie bindungsunfähig die Partei gegenüber ihrer Klientel geworden ist. Geschichte, Tradition, die Erinnerung an drei Bundeskanzler – das ist als Kitt zu wenig. Was attraktiv ist an links, haben die Grünen gepachtet, was moralisch daran ist, repräsentiert die Linkspartei. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie Kurt Beck in einer Talkshow anders als mit Plattitüden auf die Frage antwortet, warum ein junger Mensch heute in die SPD eintreten sollte.

Die Beteiligung an der großen Koalition verschärft das Dilemma. Alles Gute – der Aufschwung, die sprudelnden Steuermilliarden, der Rückgang der Arbeitslosigkeit – wird der Kanzlerin angerechnet. Das ist zwar unfair, aber verständlich. Zeitgleichheit schlägt Kausalität. Auch Bill Clinton profitierte von den Reformen Ronald Reagans und Tony Blair von denen Margaret Thatchers. Über die Ungerechtigkeit der Geschichtsschreibung zu lamentieren, nützt der SPD also nichts. Es ist sogar schädlich. Denn wann immer sie es tut, muss sie sich selbst für die Agenda 2010 und Hartz IV preisen. Das wiederum freut die Linkspartei. Es ist zum Verzweifeln: Was die Genossen auch tun, es kann stets gegen sie gewendet werden.

Lange kann dieses Siechtum nicht weitergehen. Seit Bremen muss die SPD grundsätzliche Fragen debattieren. Regieren oder Opposition – was ist wirklich Mist? Agenda oder Klassenkampf – wohin wollen wir? Rot-Grün, Ampel oder Rot-Rot-Grün – welche Optionen haben wir? „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“, sagten sich einst die Bremer Stadtmusikanten. Dann zogen sie los, machten viel Lärm und hatten Erfolg. Für die SPD heißt das: Ohne Aufbruch keine Genesung. Wer sich in sein Schicksal fügt, weil es angeblich nicht anders geht, hat sein Schicksal verdient. Einen Mitleidsbonus gewährt die Politik nicht.

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