zum Hauptinhalt

Meinung: „Wo die Moral fehlt, fehlt die Kunst“

Er schwingt die Geißel über der deutschen „Schlappschwanzliteratur“, er piesackt die bräsigen Deutschen und schurigelt die spießigen deutschen Juden. Einen Skandal in Ehren lässt sich der Schriftsteller und Journalist Maxim Biller nicht verwehren.

Er schwingt die Geißel über der deutschen „Schlappschwanzliteratur“, er piesackt die bräsigen Deutschen und schurigelt die spießigen deutschen Juden. Einen Skandal in Ehren lässt sich der Schriftsteller und Journalist Maxim Biller nicht verwehren. Seine Devise: lieber hart als gerecht. In „Tempo“, dem Zeitgeistmagazin der Achtzigerjahre, hatte er eine Hasskolumne, und in seinen Büchern „Väter und Verräter“, „Wenn ich einmal reich und tot bin“ oder „Harlem Holocaust“ langt er bisweilen ordentlich zu.

In seinem letzten Erzählungsband „Bernsteintage“ gibt es auch überraschend zärtliche Erinnerungen an die Kindheit in Prag, aber die Vorliebe für Blutgrätschen bleibt: Erst vor kurzem hat er einen Kritiker im Literarischen Colloquium Berlin als „Arschloch“ beschimpft. Maxim Biller, der geistige Enkel Henryk M. Broders, hat mehr Feinde als Freunde im Literaturbetrieb. Alles andere würde den deutsch-jüdischen Polemiker, der nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings 1970 mit seinen Eltern nach Hamburg floh, wohl auch mit Abscheu erfüllen.

Was mag Biller nun davon halten, dass sich 100 Intellektuelle, Schriftsteller, Kritiker und Verleger für ihn einsetzen? Sie warnen in dem Aufruf „Freiheit der Kunst“ vor gleich dreifachem Ruin: dem Billers, dem der Literatur und dem der Kunstfreiheit. Zwei Frauen verklagen den Autor nämlich auf mindestens 100 000 Euro Schadensersatz. Seine ehemalige Geliebte und ihre Mutter hatten sich in Billers Roman „Esra“ (2003) wiedererkannt und ihn verbieten lassen, weil sie durch Angaben zu Herkunft, Beruf und Auszeichnungen mühelos identifizierbar waren. Biller und sein Verlag Kiepenheuer & Witsch scheiterten mit dem Argument der Kunstfreiheit. Denn „Esra“ ist kein Schlüsselroman, sondern ein Schlüssellochroman: Nicht Personen des öffentlichen Lebens werden bloßgestellt, sondern private Intimitäten in die Öffentlichkeit gezerrt. Manches sieht wie die Rache des ehemaligen Liebhabers aus.

Maxim Biller macht sein Leben zur Literatur. Insofern kann ihm die Schadensersatzklage, die am 9. August am Münchener Landgericht verhandelt wird, nur zum Vorteil ausschlagen. Die geforderte Summe allerdings gehört in die Sphäre der Schönen und Reichen. Sie zielt auf die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz. Enttäuschte Liebe kann so furchtbar sein: Biller hat sie vielleicht erstmals ebenbürtige Gegner beschert.

Jörg Plath

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false