zum Hauptinhalt

Meinung: Wo ist Gott?: In der Bibel, wo sonst!

In der Bibel! Sie ist "die einzige Stelle auf der Welt, von der Gott niemals weichen wird".

In der Bibel! Sie ist "die einzige Stelle auf der Welt, von der Gott niemals weichen wird". Dieser Satz von Abraham Joshua Heschel, 1955 in New York veröffentlicht, ist für mich inzwischen die schönste Antwort geworden. Und ich bemerke in mir, wie sie dabei ist, mit der mir seit Kindheit vertrauten Antwort "Gott im Himmel" zu konkurrieren; fast, als seien Himmel und Bibel austauschbar. Ein Stück weit sind sie es auch.

Zwanzig Jahre lang kenne ich jetzt die New Yorker Antwort, und ich habe sie mir zu Eigen gemacht. Sie kommt meinem Fühlen und Denken entgegen, so sehr, dass ich mir die Bibel manchmal wie einen riesigen Maschinenpark vorstelle. Für das Feld des Lebens. Eine weite Halle, in der Gott, wie ein Maschinist mit seinem Ölkännchen, unterwegs ist, die Motoren zu warten. Jede Geschichte der Bibel hat einen Motor, fähig, die ganze Welt, das Leben, einzelne Menschen zu bewegen und auszurichten. Hier und da dreht er ein Schräubchen, prüft eine Verbindung und poliert wohl auch manchen Satz auf und freut sich am Glanze seiner großen und kleine Gefährte.

Manchmal wundere ich mich, dass man, wenn man die Bibel ans Ohr hält, die Schritte Gottes darin nicht hört - so, wie Adam ihn durchs Paradies gehen hörte und dann seinen Ruf: Wo bist du, Adam? Wir hören wohl nur nicht genau genug hin.

In diesen Tagen rollte die alte Lukasmaschine wieder in die Halle zurück, nach getaner Arbeit, die Weihnachtsgeschichte. Die kommt eigentlich immer ziemlich unbeschädigt zurück mit all ihren Sätzen. Die Menschen mögen sie und montieren ihr nichts ab. Anderen Geschichten und Sätzen ergeht es da schlechter. Die werden zerschrammt, am liebsten in alle Einzelteile zerlegt, erleben Karambolagen. Aber sie sind nicht kaputtzukriegen, Jesajas Satz von den Schwertern und Pflugscharen etwa. Oder das unterschätzte Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen. Die Fremdenliebe. In diesen globalen Zeiten das Wucherverbot.

Kirchenleute sollen sich aus der Politik heraushalten? Es ist die Brisanz der biblischen Geschichten, die stört, die Wahrheit Gottes und ihre unaufhörliche Energie. Die Bibel ist kein sanftes, privates Ruhekissen nur.

Zur Zeit ist ein visionärer Satz von Sacharja unterwegs, raus aus der Bibel in die Stadt Berlin hinein: "Es sollen hinfort wieder sitzen auf den Plätzen Jerusalems alte Männer und Frauen, jeder mit seinem Stock in der Hand vor hohem Alter, und die Plätze der Stadt sollen voll sein von Knaben und Mädchen, die dort spielen." Die Alten, die Kinder und die Städte! Städte zu Dörfern? Nein, aber nicht zuerst die Konzerne, der Verkehr. Abgesehen von seiner demographischen Aktualität: Ich ahne schon die Aufregung voraus, die Sacharjas Satz hervorrufen kann, wenn er nicht als idyllische Utopie, sondern als stadtpolitisches Ziel begriffen wird. Tausende solcher Sätze stehen gut gewartet in der Bibel und warten auf ihren Einsatz; aufstörende, mahnende und sehr, sehr viele Trostgefährte auch. So ist Gott da. Wo wir leben.

Die Autorin ist Bischöfin für Hamburg.

Zur Startseite