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Meinung: Wo ist Gott?

Von Mohammed Atta, der das Flugzeug in den Nordtower des World Trade Centers gesteuert hat, sind persönliche Aufzeichnungen aufgetaucht, auch Anweisungen für die letzte Nacht: "Du sollst beten und fasten", heißt es dort, "du sollst Gott um Hilfe und Geleit bitten, rezitiere den Koran, reinige dein Herz und säubere es von allen irdischen Dingen, die Zeit des Vergnügens und der Verschwendung ist vorbei, der Augenblick des Gerichtes ist gekommen, wir müssen diese wenigen Stunden nutzen, um Gott um Vergebung zu bitten" und "von da an wirst du ein glückliches Leben beginnen, das unendliche Paradies".Bis auf das Wort Koran könnte man denken, hier bete jemand aus der Bibel.

Von Mohammed Atta, der das Flugzeug in den Nordtower des World Trade Centers gesteuert hat, sind persönliche Aufzeichnungen aufgetaucht, auch Anweisungen für die letzte Nacht: "Du sollst beten und fasten", heißt es dort, "du sollst Gott um Hilfe und Geleit bitten, rezitiere den Koran, reinige dein Herz und säubere es von allen irdischen Dingen, die Zeit des Vergnügens und der Verschwendung ist vorbei, der Augenblick des Gerichtes ist gekommen, wir müssen diese wenigen Stunden nutzen, um Gott um Vergebung zu bitten" und "von da an wirst du ein glückliches Leben beginnen, das unendliche Paradies".

Bis auf das Wort Koran könnte man denken, hier bete jemand aus der Bibel. Koran und Bibel haben sehr viel gemein. Sie kennen die Hoffnung auf das Paradies. Sie kennen die Mildtätigkeit - und das Selbstopfer: Gib dich hin für andere. Aber: Koran und Bibel kennen nicht das Selbstopfer aus Rache und Hass. Der Soziologe Niklas Luhmann hat einmal gesagt, beim Menschen gibt es so genannte "zuerst einfallende Denk- und Handlungsweisen". Damit meint er ein reaktives Verhalten: spontan und instinktiv. Jemand übervorteilt, demütigt mich, dann "reagiere" ich. Dazu brauche ich nicht nachzudenken. Die "Reaktion" erfolgt quasi automatisch. Rache und Haß sind solche Reaktionen und vermögen sich in weitest reichende Dimensionen zu steigern: Der andere ist gänzlich verdammenswert, muss vernichtet werden.

Unglücklicherweise belohnt unsere "reaktive" Natur Rache und Hass auch noch emotional. "Dem habe ich es gegeben" - die Lust daran, dass man den anderen gepackt hat. Wenn das reaktive Verhalten von Rache und Hass zusätzlich kombiniert wird mit dem religiösen Selbstopfer, der Erwartung der höchsten Belohnung durch Gott - dann entsteht ein Sprengstoff, der die Welt in die Luft zu jagen vermag. Allerdings gibt es auch das andere Selbstopfer. Im Neuen Testament sagt Jesus: "Mein Leben - hingegeben für Euch." Jesu Bergpredigt erweist sich mehr denn je als welthistorischer Text: Stifte Frieden, halte die linke Backe hin - ein Aufruf für Frieden und Selbstopfer, geboren aus der Liebe. Und eine Notwendigkeit: Menschen kümmern sich um andere, Eltern um Kinder, Lehrer um Schüler, der Arzt um seine Patienten. Viel stärker noch gilt dies in Extremsituationen: Zur Hitlerzeit Juden verstecken, inhumane Befehle verweigern oder sich gar für andere erschießen lassen, wie eine französische Nonne im KZ Ravensbrück zwei Wochen vor Kriegsende.

Dieses Sichopfern gehört zur humanen Kultur. Ohne dieses Selbstopfer, ohne Hergeben aus Liebe wäre unser Zusammenleben ärmlich und kalt, in Extremsituationen sogar inhuman. Das Selbstopfer aus Hass dagegen tötet. Rache will die Vernichtung des anderen. Das Selbstopfer in Liebe will das Leben fördern und verzichtet auf Gewalt, selbst wenn es ans eigene Leben geht.

Das sind evidente Unterschiede und doch liegen in der Religion die beiden Seiten von Selbstopfer immer gefährlich nahe beieinander. Auch das Christentum kannte den Ruf "Schlag die Heiden tot". Aber heute steht mehr denn je zur Alternative: Hass oder Liebe. Daran entscheidet sich unsere Zukunft.

Arnold Angenendt

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