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Meinung: Wo sie wissen, was sie tun

Folter vor der Tür: Guantanamo ist schlimmer als Abu Ghraib – und gehört abgeschafft

Manchmal wird so viel effekthascherischer Irrsinn produziert, dass die wahren Skandale ein Schlummerdasein führen und um Aufmerksamkeit buhlen müssen. Fangen wir mit dem Irrsinn an: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere amerikanische Notabilitäten sollen sich vor deutschen Gerichten für die Folteraffäre von Abu Ghraib verantworten. Eine entsprechende Anklage wurde bei Generalbundesanwalt Kay Nehm eingereicht.

Die Initiative ist dreist und dumm. Dreist ist sie, weil ausgerechnet die deutsche Justiz bislang wenig Erfolg damit hatte, selbst staatlich sanktionierte Verbrechen zu ahnden. Erich Honecker starb als freier Mann. Die Morde an der innerdeutschen Grenze? Sie bleiben weitgehend ungesühnt. Mit anderen Worten: Die deutsche Justiz versagt selbst dann, wenn das Verbrechen von einem Deutschen auf deutschem Boden und mutwillig verübt wurde. Nun soll sie über Amerikaner befinden, die eine gewisse Befehlshoheit über Soldaten hatten, die in einem irakischen Gefängnis Inhaftierte misshandelten. Das ist absurd. Diese Misshandlungen wurden von höchster Stelle umgehend verurteilt. Die Täter stehen vor Gericht, einige wurden bereits bestraft.

Doch die Anklage ist nicht nur eine Farce, sondern auch dumm, weil schädlich. Sie bestätigt all jene in den USA, die Vorurteile haben – gegen Europa, die UN, den Internationalen Strafgerichtshof. Sie werden sich die Chance zu neuen Beschimpfungen und Bezichtigungen nicht entgehen lassen. Kann man es ihnen verübeln? Man stelle sich den Aufschrei vor, der durch Deutschland ertönte, falls Verteidigungsminister Peter Struck wegen der Misshandlungen in der Bundeswehr vor ein US-Gericht zitiert würde. Der Chor der Empörten würde wütend „Anmaßung“ und „Einmischung“ skandieren – und zwar zu Recht.

Doch nun zum wahren Skandal. Das Internationale Rote Kreuz beklagt, dass auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo gefoltert wird. Das ist in der Tat ein bemerkenswerter Vorgang. Was bislang geahnt, als Gerücht kolportiert und halb authentisch berichtet worden war, ist nun offiziell. Der vertrauliche Bericht, aus dem am Dienstag die „New York Times“ zitierte, belastet das Pentagon schwer. Angeprangert werden „grausame, unübliche und erniedrigende Methoden“. Das System sei „gleichbedeutend mit Folter“. Als Folge der Torturen seien Häftlinge psychisch erkrankt. In die Verhöre seien sogar Ärzte involviert. Sie würden medizinische Informationen über die Inhaftierten an die Ermittler verraten. Das wäre eine grobe Verletzung ihrer Ethik.

Guantanamo ist schlimmer als Abu Ghraib. Denn was in Guantanamo geschieht, findet mit ausdrücklicher Billigung der US-Regierung statt. Das Rote Kreuz wiederum ist eine neutrale Instanz, die als solche international respektiert wird. Fast einen ganzen Monat lang – im Juni 2004 – konnten sich deren Vertreter vor Ort ein Bild von den Zuständen machen. Für Washington ist das Ergebnis beschämend, peinlich, herausfordernd: Wer dem Roten Kreuz nicht glaubt oder dessen Ergebnisse bezweifelt, muss mehr vorweisen als trotzige Dementis.

Die Zustände in dem Militärgefängnis sind unmoralisch, dessen Nutzen fraglich. Die rund 550 Gefangenen sind überwiegend Mitläufer von Taliban und Al Qaida, wie es sie in Afghanistan zu Tausenden gab und gibt. Die geheimdienstlichen Erkenntnisse, die sie geliefert haben, waren dürftig. Im Kampf gegen den Terrorismus ist Guantanamo verzichtbar. Es schadet Amerikas Ansehen und nährt antiamerikanische Ressentiments. Spätestens jetzt, da auch das Internationale Rote Kreuz die dort herrschende Amoralität aktenkundig gemacht hat, muss der Skandal beendet werden. Die Strategie der Humanisierung des Inhumanen ist gescheitert. Guantanamo gehört aufgelöst.

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