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Wulff in Russland: Präsident fürs Äußere

Bundespräsident Christian Wulff reist nach Russland und in die Türkei. Beide Reiseziele offenbaren ein hoch politisches Amtsverständnis. Wulff setzt eigene außenpolitische Akzente - das liegt aber natürlich auch am nahezu tragisch irrlichternden Außenminister.

Christian Wulff will mehr sein als ein Kuschelpräsident – nach seinen eindeutigen Worten zum Religionsverständnis wird das nicht nur den Konservativen im Land allmählich klar. Denn nun hat sich der Bundespräsident für seinen zweiten Staatsbesuch Russland ausgesucht, in der kommenden Woche fährt er in die Türkei. Beide Reiseziele offenbaren ein hoch politisches Amtsverständnis. Da lässt sich einer nicht vom Auswärtigen Amt nach Costa Rica schicken, weil dort nun mal seit Jahrzehnten kein deutsches Staatsoberhaupt mehr war, sondern setzt einen bewussten Kontrapunkt zum blassen Außenminister und reist in zwei der derzeit interessantesten Partnerländer Deutschlands. Das Timing dafür könnte nicht besser sein. Neben Wulff brechen in dieser Woche auch Angela Merkel (Bulgarien, Rumänien) und eben Guido Westerwelle (New York) zu Auslandsreisen auf – es ist lange her, dass ein Präsident in diesem Sängerwettstreit einen eigenen Akzent setzen konnte.

Natürlich liegt das auch am in diesen Tagen nahezu tragisch irrlichternden Außenminister. Bis heute ist es Guido Westerwelle nicht gelungen, sich im und durch sein Amt ein mit den Vorgängern vergleichbares Gewicht zu schaffen. Selbst wenn der Außenamtschef am Dienstag in New York freudestrahlend verkünden kann, dass Deutschland einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bekommen wird: Mehr als ein Pyrrhussieg, der Partner wie Kanada und Portugal verärgert und international kaum Einfluss bedeutet, ist das nicht. Auch mit seinen nuklearen Abrüstungsinitiativen erntet Westerwelle vor dem Treffen der Nato am Donnerstag international nur Spott, innenpolitisch kann der FDP-Chef und Atomlaufzeitverlängerer im Friedensmilieu damit ohnehin wenig punkten. Gute Voraussetzungen also für den Bundespräsidenten, das außenpolitische Vakuum im Land zu füllen. Seine Amtsbefugnisse lassen das locker zu.

Russland verdient sowieso seit jeher die besondere Aufmerksamkeit Deutschlands. Dass der Besuch dabei kein Spaziergang wird, ist Wulff durchaus bewusst. Nach wie vor erweist sich der deutsche Wunsch einer „Modernisierungspartnerschaft“ mit Moskau als Phrase. Präsident Dmitri Medwedew hat es noch immer nicht geschafft, sich von seinem Mentor Wladimir Putin zu lösen und Hoffnungen nach einer durchgreifenden Demokratisierung zu erfüllen. Stattdessen setzt der Kreml auf ein zaristisches Verständnis von Staat und Macht, das mit der beschworenen Modernisierung wenig zu tun hat: Was modern ist und innovativ, bestimmen nicht freie Bürger, sondern ausschließlich der Kreml.

Statt Meinungsfreiheit, freiem Unternehmertum und Rechtstaatlichkeit herrschen Geheimdienstwillkür, quasi-planwirtschaftliche Gängelung in staatlichen Rohstoffversorgern und eine vor allem für ausländische Unternehmen drückende Unsicherheit in Rechtsfragen. Selbst auf regionaler Ebene will der Kreml seinen Bürgern keine demokratische Meinungsfindung anvertrauen. Stattdessen setzt er willkürlich Gouverneure oder Bürgermeister ab wie Moskaus Bürgermeister Luschkow, der, wie man hört, von einer weiteren Figur aus der Seilschaft Putins abgelöst werden soll.

Dass Bundespräsident Wulff bei seinem Besuch auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft spricht und nicht nur mit den Mächtigen, lässt deshalb aufhorchen. Eines macht Wulff damit schon vorher deutlich: Wie der Islam zu Deutschland, so gehört die Demokratie zu Russland.

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