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Wulff und die Moral: Ein Grappa aufs Haus?

Die Jagd auf Wulff wird selber zur Affäre. Christian Wulff sollte danach beurteilt und auch kritisiert werden, was er im Amt des Bundespräsidenten tut - unter seine Zeit als Ministerpräsident sollte aber endlich ein Strich gezogen werden.

Mitte Januar, ein Abend in Berlin, auf einem der vielen vermeintlichen Höhepunkte der Krise um Bundespräsident Christian Wulff: Eine große deutsche Tageszeitung – Name tut nichts zur Sache – feiert mit Hunderten von Gästen eine lange Nacht am Pariser Platz, mit Schampus und weniger teuren Getränken sowie schönen Speisen satt. Natürlich reden fast alle irgendwann teils ehrlich kritisch, teils lustvoll hämisch über die leicht korruptös gesponserte Republik und natürlich über die Affäre des Bundespräsidenten.

Doch niemand nimmt wahr, erst recht niemand nimmt Anstoß daran, dass das renommierte und nicht eben verarmte Verlagshaus für die Sause nicht selber vollständig aufkommt, sondern – wie es auf der Gästeliste auch deutlich genug vermerkt ist – sich und seinen Gästen das Fest sponsern lässt: Von einem der ganz großen Autohersteller, von der größten deutschen Handelsgruppe, von einer der großen vier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, von einer Bank, einer Kreuzfahrtgesellschaft und einer Kosmetikfirma. Natürlich verlangt niemand beim Weggehen, er wolle für die gehabten Genüsse selber bezahlen (mit Mehrwertsteuer bitte!) – und natürlich wird niemand daran zweifeln, dass der Auto- und Wirtschaftsteil jener Zeitung über den Autohersteller, dass die Wirtschafts- und Finanzseite über die Wirtschaftsprüfer sowie die Handelsgruppe und der Reiseteil über die Kreuzfahrten absolut unbestechlich objektiv berichten wird. Zur Not finden sich das nächste Jahr ja auch andere Sponsoren …

Ich halte die fortgesetzte Aufregung über Christian Wulff, die immer mehr vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, von einem beträchtlichen Anteil an medialer Heuchelei durchsetzt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich wäre bei der Suche nach einem Bundespräsidenten wirklich nicht auf ihn gekommen, allerdings aus anderen Gründen nicht – aber das wäre im Ernst mit Angela Merkel auszumachen. Auch finde ich so manches aus seinem sozialen Umfeld, wie schon bei früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten, gelinde gesagt, nicht sehr eindrucksvoll. Und schließlich hat er sich bei seiner Verteidigung reichlich unbeholfen angestellt.

Doch bis jetzt ist mir noch kein einzelner Sachverhalt untergekommen, der bei nüchterner juristischer Prüfung ein strafbares Vergehen darstellen oder für sich genommen einen Rücktrittsgrund abgeben würde. Da wird etwa in Rheinland-Pfalz unter Kurt Beck jahrelang rechtswidrig die Ernennung eines Landgerichtspräsidenten so lange manipuliert, bis endlich die Justiz eingreift – Ministerpräsident und Justizminister bleiben ungeschoren. Unter Kurt Beck werden am Nürburgring Hunderte von Millionen versenkt – dem Mann macht das nichts aus. Das dem vormaligen Ministerpräsidenten Wulff Vorgehaltene wäre zwar, wenn es stimmte, von prinzipieller Bedeutung, bliebe aber dem Volumen nach demgegenüber im Bereich der Petitessen.

Deshalb bin ich dafür, Christian Wulff in dem zu beurteilen und auch zu kritisieren, was er im Amt des Bundespräsidenten tut, ansonsten aber unter seine Zeit als Ministerpräsident einen Strich zu ziehen. Denn eines liegt auf der Hand: Er ist, for better or worse, nun einmal Bundespräsident. Wer jedoch aus lustvoller Selbstgerechtigkeit weiterhin dem medialen oder sonstigen Jagdinstinkt nachgibt, landet schließlich bei dem, was er Wulff vorwirft: der Beschädigung des Amtes. Und irgendwann müssen wir auch mal wieder lernen, institutionell zu denken und nicht nur, uns individuell aufzuregen.

Oder sollte sich irgendwann irgendjemand finden, der uns sensationsfreudig enthüllt, dass Christian Wulff bei einem Italiener zwischen Maschmeyer und Maschsee nach dem Essen einen Grappa serviert bekommen hat – aufs Haus, ohne zu bezahlen …

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