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Ypsilanti: Neue Stufe der Bequemlichkeit

Frauen können heute alles werden, zum Beispiel Bundeskanzlerin. Sie dürfen sogar alles falsch machen, wie Andrea Ypsilanti. Nach dem Debakel macht sie sich klein, stellt sich dumm - kurz: sie zieht ein altbewährtes weibliches Register.

Die Frauenfrage ist gelöst, sagte die sozialdemokratische Abgeordnete Marie Juchacz im Februar 1919 vor der Weimarer Nationalversammlung. Verständlicher Optimismus: Sie hielt die erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament, nachdem im November 1918 das Frauenwahlrecht durchgesetzt war, endlich, nach langen Kämpfen.

90 Jahre später hat Juchacz recht behalten, so scheint es jedenfalls in der politischen Sphäre. Frauen können alles, zum Beispiel Bundeskanzlerin. Sie dürfen sogar alles falsch machen, zum Beispiel als hessische SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende. Andrea Ypsilantis Weg zeigt eine neue Stufe der politischen Emanzipation der Frau an. Nach der Rechtlosigkeit, nach der Alibi- und nach der Quotenfrau ist ein Gleichstand erreicht. Frauen müssen nicht mehr besser, sie dürfen so gut, so mittelmäßig, so unreife Hasardeure sein, wie Männer es zu allen Zeiten sein durften, die in Spitzenämter gelangen und dort überleben konnten. Es bleibt im Fall Ypsilanti nur ein geschlechtsspezifischer Rest: Sie kann sich herausnehmen, ihr Versagen offensiv hinter den Fehlern anderer zu verstecken – und kommt vorerst damit durch.

Man kann die Gründe der vier Wahlverweigerer für überzeugend halten oder nicht – die Verantwortung für das Gelingen eines so riskanten Unternehmens liegt zuerst bei der Person, die zur Ministerpräsidentin gewählt werden will. Ypsilanti aber verhält sich nicht wie die Vorsitzende, die ihre Leute zur Geschlossenheit hätte führen müssen und als Gescheiterte die Konsequenzen trägt. Sondern wie das Kind, das schmollend zu den Eltern sagt: Seid ihr doch an meinen kalten Händen schuld, wenn ich eure kratzigen Handschuhe nicht tragen will …

Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine Niederlage mit derart negativen Folgen für die betroffene Partei weder einen Rücktritt noch ernsthafte Rücktrittsforderungen auslöst. Bei den Ausreden hat die Politikerin Ypsilanti mehr Spielräume als ihre männlichen Kollegen. Sie darf drei andere Frauen zu Schuldigen erklären, die eine existenzielle Strafe riskiert haben, einen jungen Mann vorschieben, der ihre Suppe auslöffeln wird und bleibt einfach in ihren Ämtern. Ypsilanti stellt sich dumm, sie macht sich klein, sie zieht, kurzum, ein altbewährtes weibliches Register. Das funktioniert; wer teilt schon gerne aus an eine, der finstere Mächte übel mitspielten. Kommt sie damit am Ende, nach der Neuwahl in Hessen, wirklich durch? Ganz sicher nicht. Es gibt nichts, was Frauen so übel genommen wird wie die Kombination von brachialen Ansprüchen und einer Opferinszenierung, wenn es schiefgegangen ist.

Und zwar zu Recht. Die Freiheit, für die Juchacz und Genossinnen gekämpft haben, erlaubt Frauen, ihren eigenen, nicht einen vorgezeichneten Weg zu gehen. Die Kehrseite dieser Freiheit ist die Verantwortung, die eben nicht mehr an Väter, Vorgesetzte, Wahlhelfer oder vermeintliche Verräter abgeschoben werden darf. Der Ypsilanti-Gleichstand ist kein Freiheitsgewinn, er ist nur bequem. Wer öffentliche Verantwortung trägt, darf sich nicht kleiner machen als das Amt erlaubt, ein Mann nicht und auch keine Frau.

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