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Meinung: Zarte Worte, harte Folgen Die Justizministerin entfacht

eine neue biopolitische Debatte

Von Tissy Bruns

Es sind erst anderthalb Jahre vergangen, seit der Bundestag die Diskussion über Embryonenschutz und Stammzellenforschung abgeschlossen hat. Das Thema war in allen Parteien umstritten. Durchgesetzt hat sich – mit Mehrheit – die Haltung, dass menschliches Leben von Anfang an zu schützen ist, dass „Menschenwürde“ in Sinne von Artikel 1 des Grundgesetzes auch dem Embryo in der Petrischale zukommt. Anderthalb Jahre sind ein kurzer Zeitraum für ein Thema von derartiger moralischer Tragweite. Schon deshalb überrascht und verärgert der Vorstoß von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die mit ihrer gestrigen Grundsatzrede diese Diskussion neu eröffnet hat. Und dafür die Schützenhilfe des Bundeskanzlers erhalten hat, von dem bekannt ist, dass er sich einen weniger restriktiven Embryonenschutz wünscht, aus Gründen der wissenschaftlichen und ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Aus dieser Sicht sind anderthalb Jahre eine lange Zeit. Die Welt der Forschung ist dynamisch. Es gibt Rückschläge und Irrtümer, aber keinen Tag des Innehaltens auf der Suche nach Wissen über das Potenzial menschlicher Stammzellen. Für deren Verwertung bei der Bekämpfung von Krankheiten, die eine älter werdende Gesellschaft als Schrecken empfindet – Alzheimer beispielsweise oder Parkinson – öffnen sich nicht nur riesige Märkte. Die Stammzelle nährt den ewigen Traum von besseren Leben. Nichts entzündet so sehr die Fantasie aller Helfer und Heiler wie ein Wundermittel, das sich in alles verwandeln kann: Leber, Herz, Nerv.

Es wäre nur zu ehrlich, wenn das auch ausgesprochen würde. Anders als ihre Amtsvorgängerin Herta Däubler-Gmelin ist Bundesjustizministerin Zypries im Kabinett in Fragen der Biopolitik kein Gegenpol zum Bundeskanzler, sondern mehr oder weniger einer Meinung mit ihm. Das wird ihr niemand vorwerfen. Mit Bedacht wägt sie beim Embryo „in vitro“ ab zwischen der „Menschenwürde“ von Artikel 1 und dem „Recht auf Leben“ des Artikels 2 – und erkennt ihm die Menschenwürde nicht absolut zu. Die verbale Vorsicht ändert nichts an der harten Konsequenz. Zwischen dem Gut der Menschenwürde von Anfang an und dem Recht auf Heilung und Gesundheit wägt die Ministerin anders ab als der Bundestag. Es ist beruhigend, dass das Parlament die Gesetze macht.

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