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Die Effekt der Praxisgebühr als Steuerungsinstrument ist umstritten.

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Zehn Euro zur freien Verfügung: Die Praxisgebühr gehört abgeschafft!

Die Praxisgebühr hat sich als Steuerungsinstrument nicht bewährt, meint Rainer Woratschka. Wann, wenn nicht in der historisch einmaligen Geldschwemme des Kassensystems ließe sie sich überhaupt wieder abschaffen?

Es gibt eine eiserne Regel im deutschen Abgabensystem: Was sich der Staat einmal als Einkommensquelle gesichert hat, gibt er nicht wieder her. Auch wenn die damit verbundenen Ziele längst erreicht – oder gescheitert – sind. Die Schaumweinsteuer etwa, 1902 zur Finanzierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals und der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt, gibt es immer noch. Vater Staat kassiert damit pro Flasche gut einen Euro.

Damit sind wir bei der Praxisgebühr. Zwei Milliarden Euro spült sie dem deutschen Gesundheitssystem Jahr für Jahr in die Kassen. Da ist es offenbar egal, dass der Patientenobolus all das, womit man ihn bei der Einführung 2004 begründet hat, nachweislich nicht leistet: Patientenströme zu lenken, unnötige Facharztbesuche zu verringern oder die Menschen dazu zu bringen, nicht bei jedem Mickerchen in der Praxis vorstellig zu werden. Fakt ist, die Zahl der Arztbesuche ging nicht zurück. Für diejenigen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen und nun tatsächlich fernbleiben, kommen andere, die ihre einmal bezahlte Gebühr weidlich auszunutzen gedenken. Und mit dem Patientenhopping wird es auch nicht besser. Profis lassen sich gleich zu Quartalsbeginn beim Hausarzt mit einem Stapel Blankoüberweisungen versorgen. Man kann ja nie wissen.

Dass die Sache mit dem Eintrittsgeld funktioniert, behaupten nicht einmal ihre Verteidiger. Sie glauben nur, sich die Abschaffung nicht leisten zu können. Und vergessen dabei den Preis, den wir alle jetzt schon bezahlen. Mediziner und ihr Personal verschwenden wertvolle Arbeitszeit mit dem Einkassieren von Geld, das sie nicht behalten dürfen. Die Regelungen zur Zuzahlungsermäßigung beschäftigen ganze Bürokratien. Und die medizinischen Folgekosten dürften auch nicht ohne sein.

Verschleppte Krankheiten kommen nicht nur den Patienten, sondern auch die Solidargemeinschaft teuer zu stehen. Es ist paradox, sich in Sonntagsreden für mehr Prävention einzusetzen und gleichzeitig hinzunehmen, dass finanziell Schlechtergestellte notwendige Arztbesuche wegen der Eigenbeteiligung aufschieben. Und sich deshalb auch gesetzlich empfohlene Vorsorge ersparen. Dass die von dem Obolus ausdrücklich ausgenommen ist, hat sich in acht Jahren nicht genügend herumgesprochen.

Dass die in der Wählersympathie heruntergekommene FDP mit der Abschaffung der Gebühr nun endlich mal wieder populistisch punkten will, ist kein Argument für ihren Erhalt. Ebenso wenig, dass die Linkspartei das genauso sieht. Wann, wenn nicht in der historisch einmaligen Geldschwemme des Kassensystems ließe sich das Ding überhaupt wieder abschaffen?

Das Nachdenken über andere Steuerungsmöglichkeiten ist deshalb nicht verboten. Man muss nur auf die Entstehungsgeschichte der Gebühr blicken. Während die Union Eintritt für jeden Praxisbesuch wollte, hätte die SPD den Obolus gern mit Hausarztverträgen kombiniert. Die Gebühr bleibt, aber wer sich verpflichtet, immer erst zum Hausarzt zu gehen, muss sie nicht zahlen. Wäre das nicht ein schöner Kompromiss?

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