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Zeitenwende in Berlin: Das Ende der Coolness - die Stadt nach dem Hype

Die Ära Wowereit scheint zu Ende zu gehen. Die aufregende Lässigkeit, die alles erleben und vieles erleiden ließ, ist einer ungepflegten Langeweile gewichen. Was braucht Berlin jetzt? Wir eröffnen die Debatte über die Stadt nach dem Hype. Diskutieren Sie mit!

Leuchttürme können die Rettung sein, in schwerer See, bei dichtem Nebel, in völliger Orientierungslosigkeit. Berlin hat jetzt sogar zwei davon, die Humboldt-Universität und die Freie Universität, ausgezeichnet im Exzellenzwettbewerb, herbeigesehnt vom Regierenden Bürgermeister. Den einen, neuen Leuchtturm kann Klaus Wowereit sehen, wenn er im Roten Rathaus aus dem Fenster schaut. Allerdings hilft ihm das nicht, die Hindernisse zu umschiffen, die auf seinen Dienstwegen liegen. Die Mitte Berlins versinkt in Baustellen und Ausgrabungsstätten, eingerahmt von immer neuen Straßensperrungen, garniert mit Pferdekutschen, die ihre schmutzigen Spuren hinterlassen, beradelt von Bierbikes, auf denen Betrunkene ihre Teilnahme am infarktösen Straßenverkehr feiern, trabantisiert von Zweitaktermassensafaris, deren Öl-Benzin-Mischung die Kulisse des ausufernden Historienrummels olfaktorisch komplettiert. Vor lauter Billigcocktailschirmchen sind die Leuchttürme kaum noch zu sehen.

Doch der erbärmliche Anblick von Mitte ist nicht Wowereits größtes Problem, und der Erfolg der Universitäten, von ihm als „dicker Pluspunkt für Berlin“ kassiert, nicht die Erlösung. Es ist auch nicht allein die Summe der Beschwerlichkeiten, die ihm zu schaffen macht, von den unnötigen Nervereien mit der eigenen Partei bis zu den schändlich-schädlichen Schlampereien am neuen Großflughafen. Aber all das sind Symptome, die zu einer Diagnose passen: Berlin steht, wieder einmal, vor einer Zeitenwende.

Die ersten zehn Jahre nach dem Fall der Mauer standen im Zeichen der Zusammenführung der Stadt. Eine bürokratische Meisterleistung. Eberhard Diepgen war dafür, bei allen Mängeln und Manipulationen, nicht der Falsche. Die zehn Jahre danach sind geprägt von Armut und Attraktion. Eine nicht nur vokale Meisterleistung, beides zu verknüpfen. Klaus Wowereit war dafür der Richtige.

Doch Attraktion nutzt sich ab, neu ist das Neue ja immer nur beim ersten Mal; Attraktion vergeht, wenn sie zum Allgemeingut wird. Den besten Club der Welt in der Stadt zu haben, ist nur ein Titel für den Moment. Deshalb die aufregendste Stadt der Welt zu sein, aber auch. Berlins Stärke war kreative und innovative Exklusivität ohne soziale Kontrolle, die aus sich heraus wächst. Deren Ende begann mit ihrer senatsoffiziellen Vermarktung. Was bleibt, ist die Armut. Das ist zu wenig für anhaltende Anziehungskraft.

Das zeigt sich auch in der Modebranche. Von der erhoffte man sich viel in Berlin; Enttäuschung und Ermüdung sind heute indes unverkennbar. Am Ende geht es eben auch ums Geschäft, nicht nur ums Vergnügen. Wegen mangelnder Wirtschaftskraft hatte Wowereit auf weiche Faktoren gesetzt und sich um deren Akquise erfolgreich bemüht; das ging eine Zeit lang gut, aber sie weichen auch wieder, diese weichen Faktoren, wenn es anderswo attraktiver wird. Dass die Chemnitzer Band Kraftklub im vergangenen Jahr auf Platz 1 der deutschen Charts stand mit einem Album, dessen Hitsingle „Ich will nicht nach Berlin“ heißt, war schon mehr Zeichen als Ironie. Es ist zu hören, es ist zu sehen, es ist zu spüren. Die aufregende Lässigkeit, die alles erleben und vieles erleiden ließ, ist einer ungepflegten Langeweile gewichen, mit anderen Worten: Die Coolness ist weg.

Das kann der Anfang vom Ende der Ära Wowereit sein. In jedem Fall aber muss es der Anfang von etwas Neuem werden.

Was meinen Sie, liebe Leserinnen, liebe Leser? Wie soll dieses Neue aussehen? Was braucht die Stadt, wenn der Berlin-Hype und die Ära Wowereit zu Ende gehen? Wie kann Berlin dauerhaft seine Anziehungkraft und Lebensqualität erhalten oder sogar noch erhöhen? Kommentieren und diskutieren Sie mit. Nutzen Sie dazu bitte die Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite. Darüber hinaus freuen wir uns auch über längere Gastkommentare zum Thema, die Sie bitte per Email an leserbriefe@tagesspiegel.de schicken.

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