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Meinung: Zu viel Ehre für Saddam

Man kann gegen die Todesstrafe sein und dennoch kein Mitleid mit Iraks Diktator haben

In Europa wurde in den letzten Jahren gerne Immanuel Kant bemüht, wenn gegen den Irakkrieg argumentiert wurde. Weniger populär dürften seine Ansichten sein, was den Strang für Saddam Hussein anbelangt: Der Königsberger Aufklärungsphilosoph befürwortete die Todesstrafe. Seiner Ansicht nach konnte ein solch elementarer Verstoß gegen die Rechtsordnung wie Mord nur durch den Tod des Täters angemessen vergolten werden.

Die Ablehnung der Todesstrafe gehört heute zum moralischen Grundbestand Europas. Auch wenn in kontinentaler Überheblichkeit gegenüber Staaten wie den USA oder Japan, in denen sie weiter praktiziert wird, gerne vergessen wird, dass auch Europas Nationen erst seit wenigen Jahrzehnten von dieser Strafmaßnahme absehen. Gerade in Deutschland möchte man nicht gerne daran erinnert werden, dass die Abschaffung der Todesstrafe in der jungen Nachkriegsrepublik auch von denen betrieben wurde, die eine Reihe von Nazis vor dem Henker bewahren wollten.

So mutet es einigermaßen übertrieben an, wenn sich jetzt von Amnesty International bis Human Rights Watch, der EU und dem Vatikan alle möglichen internationalen Akteure für Saddam Hussein in die Bresche werfen. Die UN-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour befürwortet ein Verschieben der Hinrichtung, um Bedenken am Gerichtsverfahren auszuräumen. Man könnte fast den Eindruck bekommen, als gäbe es etwa in Tschetschenien, China, Nordkorea und Birma keine dringlicheren Menschenrechtsprobleme.

Auch im Irak selbst gibt es viele Bürger, die nicht auf so ein skrupulös beobachtetes Verfahren hoffen dürfen wie das Saddams. Gerade erst haben etwa die Briten in Basra eine Polizeistation gestürmt und mehr als 100 Gefangene befreit, die Folterspuren aufwiesen und von denen viele wohl ohne Verfahren exekutiert worden wären. Wer sich jetzt also für einen der schlimmsten Massenmörder des 20. Jahrhunderts einsetzt, muss sich fragen lassen, ob es im Irak und der Welt nicht Zehntausende unschuldig Eingekerkerte oder schon Verurteilte gibt, die ein viel größeres Recht auf die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft und ihrer Menschenrechtsbeauftragten haben als der Massenmörder von Bagdad.

Der Prozess entsprach sicher nicht westlichen Standards, aber angesichts der Lage im Land haben die Iraker das ihnen Mögliche getan, um ein ordentliches Verfahren zu bewerkstelligen. Zur Erinnerung: Den Deutschen haben die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zugetraut, ihre Naziverbrecher abzuurteilen, die Iraker haben ihren Nürnberger Prozess hingegen selbst auf die Beine gestellt. Eine Leistung, die auch in der Region ihresgleichen sucht, schließlich ist Saddam bisher der einzige arabische Diktator, der für seine Taten büßen muss – auch wenn das Verfahren nicht die gewünschte Aussöhnung der irakischen Volksgruppen gebracht hat.

So mancher befürchtet nun, dass der Tod Saddams die Lage im Irak weiter destabilisiert. Das dürfte ähnlich übertrieben sein wie einst die Hoffnungen, die Festnahme des Diktators werde zu einem Abflauen der Gewalt führen. Der Aufstand hat sich längst von Saddam abgelöst und ist zu einem Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten mutiert. Der Diktator ist heute nicht viel mehr als das Symbol einer Zeit, die nie wiederkehren wird.

Die Abschaffung der Todesstrafe stellt ohne Zweifel eine zivilisatorische Errungenschaft dar, Kant hin oder her. Wenn sie in einem Land wie dem Irak aber angewandt wird – wie in weiteren 68 Staaten – dann haben wenige sie so sehr verdient wie Saddam. Für ihn eine Ausnahme zu machen, käme einer Beugung irakischen Rechts gleich. Und so wird man den Eindruck nicht los, dass so mancher aus der Rettet-Saddam-Front seine Ablehnung des Irakkriegs nun in ein neues Gewand kleidet. Dabei ist der Diktator die Achillesferse all jener, die zu Recht vor den verheerenden Folgen des Irakkriegs gewarnt haben. Schließlich hatte von den Kriegsgegnern niemand ein Konzept, wie man die Iraker auf friedlichem Wege von Saddams tödlichem Regiment hätte befreien können.

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