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Zukunft der Bahn: Da versagt mehr als die Technik

Noch immer ist die Bahn Quasi-Monopolist. Weil die Politik sie hätschelt. Sollen die Züge im nächsten Winter nicht wieder im Frost erstarren, muss die Politik Farbe bekennen. Ein Kommentar.

Die Bahn hat ein neues Leitmotto. „Kunde, Kunde und nochmals Kunde“ – das hat Konzernchef Rüdiger Grube vor ein paar Tagen seinen 291 000 Mitarbeitern für 2011 verordnet. Neu daran ist aber allenfalls die Wortwahl. Seit seinem Amtsantritt predigt der Manager, dass das Brot-und-Butter-Geschäft des Staatsbetriebs unbedingt in Ordnung kommen muss. Dass Zuverlässigkeit und Service ganz oben stehen. Dass man zu Hause erfolgreich sein muss, bevor man im Ausland Geld ausgibt.

Um den Kunden geht es jetzt ohnehin nicht mehr. Sondern um Köpfe. Grube ist seit 20 Monaten und zwei Wintern im Amt. Ebenso lange schwelt die Berliner S-Bahn-Krise, quietscht es im System des Fern- und Regionalverkehrs. Millionenteure Züge versagen mit immer neuen Pannen, Weichen frieren ein, Kunden warten stundenlang ohne Informationen. In den vergangenen Wochen war zeitweise nur jeder fünfte ICE pünktlich. Die vielen Qualitäts- und Technikoffensiven, die Grube der Bahn verordnete, greifen offenbar nicht. Seine Schonzeit läuft ab.

Das gilt mindestens ebenso sehr für Peter Ramsauer, den Bundesverkehrsminister von der CSU. Er ist seit 14 Monaten im Amt und versucht seither, sich auf Kosten der Bahn zu profilieren. Aktuell mit dem Hinweis, das Dauerdesaster der Bahn gehe allein auf den Renditedruck der vergangenen Jahre zurück und den Traum der Manager von der Börse. Als säßen nicht seit Jahren Staatssekretäre der Regierung sowie Bundestagsabgeordnete im Aufsichtsrat des Konzerns, die immer wussten, wohin die Reise geht.

Grube und Ramsauer bewegen sich auf dünnem Eis. Beider Bilanz zeigt, dass sie sehr wohl eine Mitschuld daran trifft, dass die Bahn in diesen Tagen einen historischen Image- und Vertrauensschaden erleidet. Den Bahn-Chef, weil er sich zu lange für zu teure und überschätzte Projekte wie Stuttgart 21 oder den Kauf der britischen Verkehrsfirma Arriva verkämpft hat, statt den Fokus auf den alltäglichen Zugverkehr hierzulande zu richten.

Der Verkehrsminister ist mit von der Partie, weil er Grubes Kurs deckt. Die beiden telefonieren täglich. Und weil er der Bahn seit seinem Amtsantritt zwar versprochen hat, sie angesichts anschwellender Verkehrsströme zu stärken. Den größten Teil seines Investitionsetats von zehn Milliarden Euro erhält aber weiterhin die Straße. Obendrein konnte Ramsauer den Finanzminister nicht abwehren, als der 500 Millionen Euro vom Bahn-Gewinn für sein Sparpaket brauchte.

Zwei Personalien allein erklären aber nicht das Versagen eines ganzen Verkehrssystems. 130 Milliarden Euro hat der Staat in die Bahn gesteckt, seit er die Behörde 1994 in eine Aktiengesellschaft umwandelte. Wenn trotzdem ein vergleichsweise einfaches technisches Konstrukt wie die Berliner S-Bahn noch auf Jahre nur mit Glück funktionieren wird, muss etwas gewaltig schiefgelaufen sein. Und zwar nicht erst seit dem ersten Schneefall Ende November.

Das System krankt an einem Strukturproblem: Die Bahn kann machen, was sie will, echte Transparenz darüber, was der Konzern mit dem vielen Staatsgeld anstellt, gibt es nicht. Druck von Konkurrenten bei schlechten Leistungen muss er auch kaum befürchten – 16 Jahre nach der Marktöffnung ist die Bahn noch immer Quasi-Monopolist. Weil die Politik sie hätschelt und es sich mit den vielen tausend Bahn-Mitarbeitern nicht verscherzen will, auch in Berlin. Und weil sie sich gerne sonnt im Glanz des Weltkonzerns, wenn der denn strahlt.

Sollen die Züge im nächsten und übernächsten Winter nicht wieder im Frost erstarren, muss die Politik Farbe bekennen: Entweder will sie eine Staatsbahn, die nach der Pfeife der Politik tanzt, bei der sich Verbrauchernähe und Qualität per Parlamentsbeschluss einstellen. Das wird, siehe Bundesbahn, keine billige Veranstaltung. Oder die Politik entscheidet sich für eine eigenständige Bahn, die im Wettbewerb steht und sich aus purem Selbsterhaltungstrieb auf Verbrauchernähe und Qualität besinnt. Beide Wege erfordern einen deutlichen Kurswechsel. „Kunde, Kunde und nochmals Kunde“ – solche Beschwörungen greifen zu kurz.

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