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Wer arbeitet wie und was, wie viel und wofür?

© mauritius images / Wavebreakmedia

Zum 1. Mai-Feiertag: Ist Arbeit noch Pflicht oder nur Option?

Fachkräfte fehlen, Babyboomer hören auf, junge Menschen wollen nicht ranklotzen: Das bringt den Standort Deutschland unter Druck. Es braucht neue Ideen davon, was an Arbeit gut sein könnte.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wer arbeitet wie und was, wie viel und wofür? Arbeit ist von vielen W-Fragen umzingelt, sie war und ist ein großes und zentrales gesellschaftspolitische Streitthema. Das bezeugt nicht zuletzt der Tag der Arbeit, der Ende des 19. Jahrhunderts als Kampftag der Arbeiterklasse gestartet ist.

Der Fokus der Debatten um die Arbeit hat sich im Laufe der Zeit geweitet. Es geht heute immer noch um Löhne und Gerechtigkeit, aber sehr oft auch um Sinn und Zufriedenheit. Junge Menschen sehen in Arbeit nur noch eine von mehreren Möglichkeiten, den Tag rumzubringen. Mit Geld kann man sie immer weniger an die Werkbänke locken.

Das ist schon allein deshalb nicht trivial, weil der Staat auf das Geld angewiesen ist, dass er in Form von Steuern von den Löhnen einbehalten kann. Wenn niemand mehr verdienen möchte, womit soll der Fiskus dann kalkulieren? Und wer soll sich für Deutschlands wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit ins Zeug legen, wenn mehr und mehr den Einsatz verweigern?

Längst nimmt in mehreren Branchen der Mangel an Fachkräften bedrohliche Ausmaße an. Arbeitskräfte-Suchtrupps hetzen in Konkurrenz mit denen aus anderen Industrieländern über den Globus, um Arbeitswillige zu suchen, die hierzulande den Output-Standard sichern sollen.

Chancen-Karten für Ausländer, KI als Jobkiller

Die Gesetzgebung laboriert derweil an semantischen Niedlichkeiten wie „Chancen-Karten“ für Ausländer herum, in denen die Wirtschaft nicht mehr als wichtige „Bausteine“ sieht, und die von der CDU als fahrlässige Einladungsgesten an jene verurteilt werden, die nur in den Sozialsystemen Platz nehmen wollen.

Und es wachsen die Herausforderungen der Arbeitswelt durch die immer besser werdenden Dienstleistungen der Künstlichen Intelligenz, die geeignet sind, manche Jobs ganz zu übernehmen, was die nächsten großen Fragen nach der Zukunft von Arbeit aufwirft.

Und genau in diese vielen Unsicherheiten hinein ist jüngst die Verpflichtung zur Arbeitszeitregelung geplatzt. Vorhang auf, und die Bürokratie betritt die Bühne. Manche schlagen entnervt die Hände überm Kopf zusammen. Wie soll das alles gehen, woher die passenden Programme, Tabellen bekommen, oder reichen auch Kugelschreiber und Schmierpapier?

Gerade in den IT-gestützten Wissens- oder Kreativberufen haben Homeoffice-Reglungen und die Möglichkeiten, dauernd von überall „remote“ tätig zu werden, den Graubereich zwischen Arbeit und Freizeit zum neuen Normal gemacht. Mit der Folge, dass kaum noch jemand mehr so richtig zu sagen weiß, wie viel Einsatz sich tatsächlich auf den Job bezog und wie viel Interesse oder Gewohnheit geschuldet war.

Arbeit ist kein Ponyhof.

Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit

So ist die Arbeitszeiterfassung viel mehr als nur Verwaltungsfrage und organisatorischer Aufwand. Sie ist Vehikel für die drängende Frage: Was genau ist das eigentlich: Arbeit? Ist sie hierzulande noch Pflicht oder nur noch Option?

„Arbeit ist kein Ponyhof“, schimpfte unlängst Andrea Nahles als Chefin der Arbeitsagentur über die fehlende Arbeitseinstellung der jungen Generationen. Und sie ist mit dieser Ansicht nicht allein. Wo ist der Biss hin, fragen besonders die Babyboomer, wo das Erreichenwollen? Interessanterweise wird das nachlassende Interesse am Volleinsatz damit von genau der Generation beklagt, die den Burnout zur Standard-Diagnose für berufliche Überlastung etabliert hat und den Jüngeren somit als schlechtes Beispiel dient.

Die Nachwachsenden halten dem Erst-die-Arbeit-und-dann-Konzept bequem zurückgelehnt ihre Work-Life-Balance entgegen. Sie wollen ein gutes Leben und sich das nicht durch Überarbeitung kaputtmachen. Was aus individueller Perspektive sehr nachvollziehbar klingt. Aber wie soll eine Volkswirtschaft auf so einer Basis gegen globale Konkurrenz bestehen?

Als ein Job-Coach kürzlich auf einem Seminar vortrug, dass sein Erfolg durchaus eine Frage einer richtigen zupackenden Einstellung gewesen sei, aber vor allem auch auf Anstrengung beruhe, sah er in lange Gesichter. Anstrengung, ehrlich?

Bei Karl Marx hat die Arbeit noch den Menschen von sich selbst und der Natur entfremdet. Heute sieht es aus, als habe der Mensch sich von der Arbeit entfremdet. Es ist vermutlich an der Zeit, eine neue und attraktive Idee davon zu entwickeln, was an Arbeit gut sein könnte. Auch, wenn das etwas mühsam wird.

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