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Meinung: Zum Frieden verdammt

Der Versöhnungsprozess nimmt in Nordirland nur eine Auszeit

Von Martin Alioth

Das viereinhalb Jahre alte Karfreitagsabkommen bleibt die Eichmarke für eine bessere, friedliche Gesellschaftsform in Nordirland. Der damals unter den Parteien Nordirlands und den Regierungen des Vereinigten Königreichs und Irlands vereinbarte Kompromiss enthält die Grundprinzipien, zu denen die Nordiren immer wieder zurückkehren werden: paritätisch geteilte Regierungsverantwortung zwischen Katholiken und Protestanten, Zusammenarbeit zwischen den beiden Teilen Irlands, Reform von Polizei und Justiz an Haupt und Gliedern. Und solange eine Mehrheit der Bevölkerung in Nordirland dies wünscht, bleibt die Provinz formal Teil des britischen Staatsverbandes.

Gegenwärtig befindet sich das raffinierte Institutionengefüge zur Selbstverwaltung in seiner tiefsten Krise seit 1998. Es wird höchstwahrscheinlich am Montag auf Eis gelegt. Die größte Unionistenpartei von Chefminister David Trimble hatte schon im letzten September beschlossen, sich zu Beginn nächsten Jahres aus der Koalitionsregierung mit der IRA-nahen Sinn-Féin-Partei zurückzuziehen, aus Angst, bei den bevorstehenden Wahlen von kompromisslosen Fundamentalisten geschlagen zu werden. Trimble hat sich von allem Anfang an in Sinn Féin und die IRA verkrallt; er hat es versäumt, eine tragfähige Mitte mit den gemäßigten Katholiken aufzubauen und die moderaten Kräfte in seiner eigenen Partei zu wenig ermutigt. Deshalb prophezeien die Auguren jetzt eine Polarisierung auf Kosten der Mitte, falls es zu Wahlen käme. Da wäre die zeitweilige Machtübernahme durch London das geringere Wagnis.

Unterschwellige Gewaltdrohung

Die Sinn-Féin-Partei ihrerseits ließ sich gerne ins Rampenlicht ziehen und benutzte die unterschwellige Gewaltdrohung der IRA skrupellos, um immer weitere Konzessionen zu ertrotzen. Zusätzliche Wähler strömten der Partei zu – auch hier auf Kosten der gemäßigten Kräfte. Doch der Marsch Sinn Féins in die Demokratie verzögerte sich durch diese Spielchen, die IRA rüstete auf statt ab, hielt ihre Kriegsmaschine einsatzbereit. Der begründete Verdacht, dass die IRA einen Spionagering im Büro des britischen Nordirlandministers aufgebaut hatte, führte jetzt zum Eklat.

Der britische Premierminister wird sich hüten, Sinn Féins Minister aus der nordirischen Regierung zu verbannen, er wird lieber zum vierten Mal die Verwaltung Nordirlands vorübergehend in die eigene Hand nehmen. Der unvermeidliche Neubeginn kann erst stattfinden, wenn aus Nörglern berechenbare Politiker geworden sind und aus Guerilleros glaubwürdige Demokraten. Derweil werden Dublin und London versuchen, die Polizei- und Justizreform voranzutreiben und die Entmilitarisierung Nordirlands zu beschleunigen. Den Protestanten ist dieser direkte Eingriff der irischen Regierung verhasst, was sie hoffentlich ermutigen wird, konstruktiv zu handeln.

Die IRA ihrerseits will keinen neuen Krieg. Aber ihre Auflösung könnte der Preis sein für einen Neubeginn. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams spricht dieser Tage ungezwungen über die Wünschbarkeit dieses radikalen Schrittes. Und vielleicht vollzieht ja Sinn Féin schon bald den wichtigsten Schritt überhaupt, den Beitritt in die reformierte Polizeikommission? Das würde die Voraussetzungen radikal verbessern. Umgekehrt müssen die Protestanten endlich aufhören so zu tun, als trügen sie keine Mitschuld an 30 Jahren Konflikt. Ihre selbstgerechte Pose als verletzte Unschuld hat das Verfallsdatum längst überschritten. Der überfällige Gesinnungswandel auf beiden Seiten wird nicht über Nacht eintreten – so viel haben wir in den letzten paar Jahren begriffen. Aber der Prozess muss erkennbar sein, der gute Wille spürbar.

Alle Beteiligten ließen in den letzten Tagen durchblicken, dass sie dereinst erneut die Regierungsverantwortung teilen werden. Gegenwärtig ist die Marschroute zu diesem Ziel nicht ohne weiteres erkennbar, aber am Ziel ist nicht zu rütteln.

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