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Meinung: Zum Leiden verurteilt

Von Hartmut Wewetzer Darf eine todkranke, vom Kopf abwärts gelähmte Frau mit Hilfe ihres Mannes sterben? Nein, hat der Europäische Menschengerichtshof in Straßburg nun entschieden.

Von Hartmut Wewetzer

Darf eine todkranke, vom Kopf abwärts gelähmte Frau mit Hilfe ihres Mannes sterben? Nein, hat der Europäische Menschengerichtshof in Straßburg nun entschieden. Die 43 Jahre alte Britin Diane Pretty muss also weiterleben, obwohl sie in nicht allzu ferner Zeit mit einem qualvollen Tod durch Ersticken und Lungenentzündung rechnen muss.

Die Straßburger Richter argumentieren auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention: Das Recht auf Leben schließe nicht seine Umkehrung, ein Recht auf Sterben, ein. Das klingt einleuchtend und wirkt angesichts der Realität doch kühl, herzlos, abstrakt. Angesichts von Menschen wie Diane Pretty stößt das Recht an seine Grenzen.

Vermutlich haben die Richter keine andere Wahl gehabt. Aktive Sterbehilfe ist in Europa mit Ausnahme der Niederlande verboten. Hätte der Gerichtshof der Frau das Recht auf einen selbstbestimmten Tod zugestanden, hätte er damit den fast überall geltenden europäischen Rechtsvorstellungen deutlich widersprochen.

Aktive Sterbehilfe bedeutet Tötung auf Verlangen. Das kann zum Beispiel heißen, dass einem Sterbewilligen Gift gespritzt wird. Dagegen leistete ein Ehemann, der die Beatmungsmaschine seiner tödlich erkrankten, das Sterben herbeisehnenden Frau abstellte – so in Deutschland geschehen – lediglich passive Sterbehilfe. Die ist erlaubt. Patient, Arzt und Angehörige haben also auch im heutigen Rechtssystem einen Freiraum zum Handeln. Entscheidend ist das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen.

Und die aktive Sterbehilfe? Sie verführe zum Missbrauch, heißt es. Kranke Menschen könnten sich unnütz fühlen und in den Tod getrieben werden, wo doch liebevolle Betreuung und gute Pflege angebracht wären. Und dann ist da noch die in Deutschland noch immer gegenwärtige Erinnerung an die „Euthanasie“ genannte Ermordung von Behinderten und Kranken durch die Nazis.

Die Argumente gegen die aktive Sterbehilfe sind berechtigt. Trotzdem gibt es Fälle, wo die Medizin noch immer machtlos ist und der Tod eine vom Kranken herbeigesehnte Erlösung darstellt. Darf man dem Bürger, dessen Mündigkeit so gern beschworen wird, unter diesen Bedingungen das Recht auf einen selbstbestimmten Tod verwehren? Gibt es eine Pflicht zum Leiden, weil die Nazis anderen unsägliches Leid zufügten?

Der Straßburger Gerichtshof hat entschieden. Aber die Diskussion hat gerade erst begonnen.

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