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Meinung: Zurückgeschrieben: Der Terror und die Medien

Unser Leser Frank Müller sieht nach den Terroranschlägen die Pressefreiheit in den USA in Gefahr. Malte Lehming, USA-Korrespondent des Tagesspiegels, antwortet.

Unser Leser Frank Müller sieht nach den Terroranschlägen die Pressefreiheit in den USA in Gefahr. Malte Lehming, USA-Korrespondent des Tagesspiegels, antwortet.

Betrifft: "Die Tugend darf mal Pause machen" vom 18. November 2001

Selbst angesichts der Tatsache, dass in den USA renommierte JournalistInnen nach regierungskritischer Berichterstattung ihren Job verlieren, verneint Malte Lehming die Frage, ob die Pressefreiheit in den USA in Gefahr sei. Er schreibt: "Kein vernünftiger deutscher Journalist käme auf die Idee, aus Anlass eines ausländerfeindlich motivierten Mordes das Für und Wider rechtsradikaler Thesen zu erörtern." Damit suggeriert er, die Kritiker der Regierungslinie hätten versucht, die Terrorakte vom 11. September zu verteidigen. und das Für und Wider der dahinter stehenden Ideologie abzuwägen. Dies ist nicht der Fall. Es geht allein um die Vorgehensweise im Kampf gegen den Terror. Wer wirklich Terror oder Rechtsextremismus bekämpfen will, muss ihre Ursachen untersuchen.

Und natürlich ist die Pressefreiheit immer dann in Gefahr, wenn Informationen zurückgehalten werden und wenn Regierungen Propaganda finanzieren. Die Pressefreiheit ist, wie die Meinungsfreiheit, ein Grundrecht und damit ein wesentliches Element der freiheitlichen Grundordnung und der offenen Gesellschaft. Genau diese freiheitliche Ordnung ist es jedoch, gegen die sich der Terror in Wahrheit richtet. Umso wichtiger scheint mir ihre Verteidigung auch im Innern zu sein.

Frank Müller, Berlin-Neukölln

Lehmings Antwort

Sehr geehrter Herr Müller, in Amerika darf jeder alles sagen, jeder darf alles publizieren. Wer Spaß daran hat, kann bin Laden für den Friedensnobelpreis vorschlagen, gegen den Krieg in Afghanistan demonstrieren oder die Zerstörung des World Trade Centers als einen Akt mutiger Freiheitskämpfer bezeichnen. Noch immer ist die Meinungsfreiheit in den USA weit weniger eingeschränkt als etwa in Deutschland. Auf die Idee, ein Gesetz gegen das Verbreiten der Auschwitz-Lüge zu erlassen, käme niemand. Und ein System öffentlich-rechtlicher Medienanstalten, die dem direkten Einfluss der staatstragenden Parteien unterliegen, würde als unlauter abgelehnt.

Alles sagen und publizieren zu dürfen, heißt jedoch nicht, dass Journalisten ein Recht darauf haben, ihre Ansichten in jedem Medium verbreiten zu dürfen. So deplaziert es wäre, im "Neuen Deutschland" ein Loblied auf den Kapitalismus zu singen, so riskant kann es in den Vereinigten Staaten derzeit sein, in einer großen, konservativen Regionalzeitung allzu harsche Kritik an George W. Bush zu üben. Denn das wollen die meisten Leser nicht. Das haben einige US-Journalisten unmittelbar nach dem 11. September nicht bedacht. Als Konsequenz wurden sie entlassen. Mit Zensur haben die Entlassungen nichts zu tun. Jeder amerikanischer Kommentator, der Bush gern eins überbraten will, kann bei einem linken Organ anheuern. In dem kann er dann nach Herzenslust vom Leder ziehen.

Die Frage ist also nicht, ob die Pressefreiheit in den USA gefährdet ist. Dass Informationen im Kriegsfall zurückgehalten werden, um nicht das Leben der eigenen Soldaten zu gefährden, versteht sich von selbst. Außerdem gibt es keine Regierung auf der Welt, die kein Geld für Propaganda ausgibt. Das allein ist noch kein Eingriff in die Pressefreiheit. Nein, die wirklich interessante Frage lautet, warum so viele Deutsche meinen, den Amerikanern in Sachen Meinungsfreiheit Nachhilfeunterricht erteilen zu müssen.

Malte Lehming

Redaktionsbüro Washington

Frank Müller[Berlin-Neukölln]

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