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Meinung: Zuwanderungsgesetz: Politische Hugenotten

Zuwanderung ist immer auch ein Kulturschock. Für die, die kommen, und für die, die schon da sind.

Zuwanderung ist immer auch ein Kulturschock. Für die, die kommen, und für die, die schon da sind. Solchen Schockzuständen ist Berlin seit 1989 ausgesetzt. Da war zuerst der Wiedervereinigungsschock. Er traf alle und ging im Sommer 1999 in den nächsten Schock über, den Hauptstadtschock. Das war, als "die Bonner" kamen. Dieser Schock traf vor allem die SPD und die CDU. Die SPD hat es nur noch nicht richtig gemerkt, die CDU schon. Die Bonner Christdemokraten waren entsetzt über das, was sie sahen. Die Berliner Christdemokraten waren entsetzt, dass jemand zu gucken wagte. Das vorläufige Ende kennen wir. Es war wie bei jeder Zuwanderung. Nichts ist mehr so wie vorher. Sogar Eberhard Diepgen ist weg.

Der neue Mann der Berliner CDU heißt Christoph Stölzl. Jedenfalls ist kein Mitbewerber um den Posten des Berliner CDU-Chefs zu sehen, seit der frühere Kultursenator am Wochenende mit der Anmeldung seiner Kandidatur Frank Steffel zuvorgekommen war. Steffel, der Fraktionsvorsitzende der Union im Abgeordnetenhaus, hatte selbst Interesse erkennen lassen. Der 35-jährige, der im letzten Jahr als Spitzenkandidat so sang- und klanglos untergegangen war, hat seitdem jedoch an Statur gewonnen und gelernt, Machtverhältnisse realistisch einzuschätzen. Mit seiner Unterstützung für Stölzl vermied er innerparteilichen Streit.

Bis dahin waren beide natürliche Konkurrenten. Nun aber können sie die Berliner CDU gemeinsam voranbringen - eloquent und weltläufig, aber ohne tiefer gehende Kenntnis der Partei der eine, sicher im politischen Tagesgeschäft und intimer Kenner der Unionsstrukturen der andere. Die Ost-Kompetenz in der Parteispitze garantiert das Trio aus Günter Nooke als dem Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, dem Interimsvorsitzenden Joachim Zeller und Mario Czaja aus Marzahn-Hellersdorf als potenziellem Generalsekretär. Mit Aleander Kaczmarek aus Neukölln steht ein weiterer jüngerer Politiker bereit.

Warum hat auf einmal, mit der Niederlage Diepgens in Hohenschönhausen erstmals sichtbar, jener Zeitenwechsel geklappt, dem sich die CDU seit ihrem Sturz aus der Regierungsverantwortung so zäh widersetzt hat? Weil sich die aus Bonn Hinzugezogenen, die deutschen Zuwanderer, nun massiv einmischen. In den ersten Monaten nach dem Sommer 1999 hatten sie zuerst nur neugierig, dann ziemlich angewidert auf das geschaut, was sich in der Berliner CDU so tat. Nicht, dass man aus rheinischen Gefilden keine Klüngelei gewohnt war. Aber (West)-Berlin präsentierte sich den Neubürgern doch als eine ganz spezielle Form der "geschlossenen Gesellschaft", die auch Frank Steffel nun aufzusprengen forderte. Vor einem Jahr noch hatte sich Berlins CDU einem von außen kommenden Spitzenkandidaten für die Wahl, Wolfgang Schäuble, verweigert und war, eigensinnig, mit dem Hausgewächs Steffel erbärmlich eingebrochen.

Im Nachhinein hat sich als segensreich erwiesen, dass Schäuble nicht antreten musste. Ob er sich aus dem Bankgesellschaftssumpf hätte befreien, die CDU zum Sieg führen können, war schon damals fraglich. Aber als Sündenbock hätte man ihn, schäbige Berliner Tradition, bestimmt abgestempelt. Nun kam die Erneuerung nicht von oben, sondern von unten und dafür umso radikaler. Zugewanderte Christdemokraten, im politischen Geschäft routiniert und in Deutschland und der Welt herumgekommen, wie Georg Eickhoff, die unter dem beziehungsreichen Namen "Hugenotten" zusammentrafen, hatten sich ans Ausmisten gemacht. Sie fanden, dass Berlin wieder eine starke CDU verdient. Schon einmal, vor 300 Jahren, haben die Hugenotten der Stadt wichtige Wachstumsimpulse gegeben.

Nur bis auf die Ebene aller Kreisverbände ist die Neuerung noch nicht durchgedrungen. Einige meinen, Christoph Stölzl könne eine Art Außenminister spielen und solle die CDU ansonsten in Ruhe lassen. Auf das Letztere wird sich Stölzl nicht reduzieren lassen. Einen guten, um Vertrauen in die Stadt werbenden Außenminister könnte Berlin aber im Kontakt mit den anderen Ländern gut brauchen. Denn Vertrauen, Vertrauen benötigt Berlin fast noch mehr als Kredit.

Gerd Appenzeller

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