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Meinung: Zwischen Demokratie und Bürgerkrieg Widerspruch gegen Arafat – aber keiner ist eindeutig

Von Andrea Nüsse In den Palästinensergebieten rumort es. In Gaza gingen etwa 7000 Arbeitslose auf die Straße, um gegen die Korruption in Arafats Regierung zu demonstrieren.

Von Andrea Nüsse

In den Palästinensergebieten rumort es. In Gaza gingen etwa 7000 Arbeitslose auf die Straße, um gegen die Korruption in Arafats Regierung zu demonstrieren. In Hebron protestierten 600 Anhänger des Abwehrchefs in der Westbank, Dschibril Radschub, gegen dessen Entlassung durch Arafat. Dazu nutzten sie die wenigen Stunden, in denen die israelische Armee die totale Ausgangssperre für die Bewohner der Stadt aufhob.

Demonstrationen, offener Widerspruch und Protest sind wichtig für die Demokratie. Bürger nutzen das Recht auf freie Meinungsäußerung. In autoritären Staaten wird es oft unterdrückt. Sind die Ereignisse der vergangenen Woche also Zeichen einer sich entwickelnden Demokratie in den Palästinensergebieten, werden nicht mehr alle Entscheidungen Jassir Arafats und seines Apparates schweigend hingenommen?

Die Montags-Demonstration in Gaza fällt in diese Kategorie. Zwar richtete sich der Protest nicht gegen Arafat persönlich, sondern gegen korrupte Gestalten in seiner Umgebung. Aber die Zielrichtung ist eindeutig: Die Bürger verlangen von ihrer Regierung, dass sie sich um deren Wirtschaftsinteressen kümmert. Die Autonomiebehörde habe die Pflicht, ihre Bürger vor dem Verhungern zu bewahren, begründete der Organisator Mohammed Dahman den Protest. Die Demonstranten warfen ihrer Führungsclique vor, internationale Hilfsgelder in die eigene Tasche zu wirtschaften, statt sie an die notleidende Bevölkerung weiterzuleiten. Im Gaza-Streifen sind 60 Prozent der Menschen arbeitslos, laut einem Weltbankbericht lebt die Hälfte der Palästinenser von zwei Dollar und weniger am Tag. Die Demonstranten machen nicht mehr die israelische Besatzung allein für alles Übel verantwortlich, sondern suchen die Fehler auch in den eigenen Reihen. Ein neuer Ansatz, der auf wachsende Mündigkeit der Bürger hindeutet.

Andererseits haben auch jene in der Autonomiebehörde und anderswo Recht, die Israels Politik mitverantwortlich für die Situation machen. Durch die Abriegelung des Gaza-Streifens seit Ausbruch der Intifada im September 2000 haben 40 0000 Menschen dort ihre Jobs in Israel verloren. Israel hält seither mehr als eine Milliarde Dollar zurück, die es laut bestehender Abkommen aus Zoll- und Steuereinkünften an die Autonomiebehörde überweisen müsste.

Die Regierung Scharon scheint damit ihrem Ziel, den palästinensischen Widerstand durch wirtschaftlichen Druck zu brechen, näher zu kommen. Der Protest in Gaza könnte bedeuten: Die Bürger wenden sich erst wieder geeint gegen die Besatzung, wenn ihre eigenen Vertreter sich rückhaltslos für das Gemeinwohl einsetzen. Damit dient die Arbeitslosen-Demo der Reformbewegung.

Anders ist es mit der Auflehnung der Anhänger von Sicherheitschef Dschibril Radschub. Zwar gehört das Recht auf Kritik an der Entlassung des Chefs zu den Rechten von Mitarbeitern in einer Demokratie. Aber wenn eine Abordnung Offiziere der Sicherheitskräfte, die der Autonomiebehörde und damit Jassir Arafat unterstellt sind, die Ernennung eines neuen Chefs nicht anerkennen, klingt das eher nach Putsch als nach Demokratisierung. Diese Proteste sind Teil einer Fehde zwischen Clans. Sie zeugen von der Zersplitterung der Macht, die politische Führung ist nur eines mehrerer Machtzentren.

Arafat ist bei Radschubs Entlassung ungeschickt vorgegangen. Radschub erfuhr von ausländischen Geheimdiensten von seiner Absetzung. Es sieht ganz danach aus, als habe sich Arafat unter dem Deckmantel von Reformen eines Rivalen entledigen wollen. Das rechtfertigt jedoch nicht die Weigerung bewaffneter Kräfte, die Entscheidung der politischen Führung anzuerkennen.

So weisen die Ereignisse der jüngsten Tage in zwei verschiedene Richtungen: einerseits Reformdruck, andererseits Selbstzerfleischung und undemokratische Machtkämpfe, die zum Bürgerkrieg eskalieren können.

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