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ZWISCHEN Ruf: Schlecht bezahlte Arbeit ist immerhin Arbeit

Im Sozialstaat von heute kann die Arbeit nur zuerst und der soziale Ausgleich danach kommen. Wer arbeiten kann, muss arbeiten – egal zu welchem Lohn, solange die Bezahlung nicht sittenwidrig ist.

Immer, wenn in Deutschland die Unterschiede zwischen Armen und Reichen krasser werden, herrscht Alarmstimmung. Zuletzt hat die Hans-Böckler-Stiftung konstatiert, dass die Armen immer ärmer, die Reichen immer reicher werden. Zuvor bot der Armutsbericht Stoff für Empörung, davor war es der Familienbericht, davor Studien zur Kinderarmut.

Woher kommt die Empörung? Weil diese Gesellschaft auf Ausgleich bedacht und es Aufgabe des Staates ist, diesen Ausgleich herzustellen. Offensichtlich habe der Staat versagt, wenn die Unterschiede wachsen, sagen einige. Viele argumentieren zudem, dass jeder in der Lage sein sollte, sich und seine Familie von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Dafür müsse der Staat ebenfalls sorgen.

Das ist eine schöne Vorstellung, aber sie ist unrealistisch. Denn dann wäre es nicht mehr die Entscheidung der Allgemeinheit, bei gleichem Arbeitslohn einer Familie mit Kindern mehr Geld zuzugestehen als einem Alleinstehenden, sondern es würde Aufgabe der Unternehmen. So funktionierte die DDR, und daran scheiterte sie grandios. Bei der Arbeit kann es im Kern nur darum gehen, was die geleistete Arbeitsstunde kostet und was sie dem Unternehmen bringt. Wer auf die Firmen schimpft, sie würden die Löhne drücken und die Armen demütigen, wendet sich an den falschen Adressaten.

Es gehört zu den Kernaufgaben einer Demokratie, sich um die Schwachen zu kümmern. Dazu gehört aber auch, ihnen das Maß an Eigenverantwortung zuzumuten, das sie wahrnehmen können. Wer arbeiten kann, muss arbeiten – egal zu welchem Lohn, solange die Bezahlung nicht sittenwidrig ist. Nur dann entstehen genug Arbeitsplätze, wie der vergangene Aufschwung gezeigt hat.

Schlecht bezahlte Arbeit an sich verletzt die Menschenwürde nicht. Sondern die sicher gut gemeinte Ansicht, die Leute sollten lieber gar nicht arbeiten müssen als einen schlechten Job annehmen. Der frühere Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering hat als einer der wenigen sehr klar begründet, warum es wichtig ist, dass auch im Sozialstaat von heute die Arbeit zuerst und der soziale Ausgleich danach kommt. Die Aussicht, dass Müntefering nun Parteivorsitzender der SPD wird, lässt die Hoffnung zu, dass das Thema aus den Herzen der Sozialdemokraten auch wieder in deren Köpfe kommt.

Die Autorin ist Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins „Impulse“.

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