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Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

Zwischenruf : Armutswanderung ist kein Betrug

"Etwas Besseres als das Elend zu Hause findest du in Deutschland bestimmt" - deshalb kommen die Menschen hierher. Das ist kein Sozialbetrug meint Barbara John und meint: "Wir sollten ihnen mit Gelassenheit begegnen."

Wie stellen wir uns ein auf Armutswanderer aus Bulgarien und Rumänien? Viele sind schon da, weitere werden kommen. Staatliche Stellen haben sich schon positioniert: Das Innenministerium lässt kein gutes Haar an ihnen. Städte und Gemeinden fordern neben Integrationshilfen indirekt die Ausweisung aufgrund von Mittellosigkeit. Einfach zustimmen oder einfühlen in ihre Lage?

Wie würden Sie denn entscheiden, wenn Sie wählen könnten zwischen dieser Alternative: Leben in Rumänien, Bulgarien in einem Armutsghetto, mit monatlichen Einkünften, die gerade reichen, die Familie vier Tage satt zu machen, mit Schulen, in denen ihre Kinder chancenlos bleiben. In Deutschland dagegen, in der günstigen Variante, eine moderne Zwei-Zimmer- Wohnung, in der schlechteren immerhin noch ein Matratzenlager mit Strom und Wasser, ein sicheres monatliches Einkommen von ca. fünfhundert Euro Kindergeld (drei Kinder), kleine Zusatzverdienste hier und da. Also kommen neben den Fachkräften aus Bulgarien und Rumänien auch Arbeitslose aus diesen Ländern, in Anlehnung an den Bremer Stadtmusikanten-Spruch „Etwas Besseres als das Elend zu Hause findet du in Deutschland bestimmt“.

„Das ist Missbrauch der Freizügigkeit, Sozialbetrug“, der Innenminister. Falsch, es ist Gebrauch der Freizügigkeit, die existiert, damit Menschen außerhalb der Heimat im europäischen Raum ihr Leben verbessern können. Wer das im Selbstversuch macht, verletzt kein Gesetz, begeht keinen Betrug. Er bewegt sich in einem Regelwerk, dem alle europäischen Länder zugestimmt haben, auch die Bundesrepublik. Im Januar 2014 könnten noch einige Zehntausend mehr kommen, denn dann erst ist die Tür für jeden Arbeitssuchenden offen, auch wenn er noch Pässe zur Einreise braucht.

Keine Frage, dass für viele die Wanderung nach Deutschland in einer rechtlichen und sozialen Sackgasse enden wird, denn Sozialhilfe gibt es nur in Ausnahmefällen, und kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt. Was dann? Erzwungene Rückkehr? Amtlich wird es jedenfalls eng und abweisend werden. Und nicht-amtlich? Werden wir uns auch abwenden, mit Schadenfreude? Oder werden wir Freizügigkeit auch für Armutswanderer mit Gelassenheit akzeptieren und mitdenken, wie sie besser gelingen könnte?

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