zum Hauptinhalt
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin. Sie war unter anderem Chefredakteurin von "impulse".

© Mike Wolff

Zwischenruf: Es geht ums Gehalt

Eine Gruppe von Wissenschaftlern, Theologen, Politikern und Betriebsräten fordert die Einführung der 30-Stunden-Woche. Dabei sind die Menschen nicht unzufrieden, weil sie zu lange arbeiten müssen - sondern weil sie zu wenig verdienen.

30-Stunden-Woche, voller Lohnausgleich, und zwar flott. 100 Wissenschaftler, Theologen, Politiker und Betriebsräte haben einen offenen Brief geschrieben, in dem sie eine gesamtgesellschaftliche Arbeitszeitverkürzung verlangen. Wer allerdings jetzt seine „Am-Samstag-gehört-mein-Papimir-Plakate“ der 70er Jahre herausgekramt hat, kann sich wieder hinlegen: Der Brief ist kein Manifest einer bevorstehenden Auseinandersetzung. Er ist der Aufschrei einer von sich selbst erschöpften Gesellschaft, der letzte Retro-Trip der alten Linken.

Die Professoren und Aktivisten – die meisten stehen am Ende ihres Erwerbslebens oder sind lange pensioniert – stellen „Massenarbeitslosigkeit“ und „Unterbeschäftigung“ auf der einen, „Burn-out“ und „Depression“ auf der anderen Seite der Erwerbsgesellschaft fest. Zur Heilung empfehlen sie eine breite Bewegung nach dem Vorbild der 70er und 80er.

Sie treffen damit eine verbreitete Stimmung: Viele Menschen sind mit ihrer Arbeitszeit tatsächlich unzufrieden. Und bei drei Millionen Arbeitslosen kann man nur schwer von Vollbeschäftigung reden, auch da haben sie recht. Doch die Unzufriedenheit hat unterschiedliche Ursachen. Viele der Älteren sind tatsächlich mit 30 Stunden zufrieden. Viele Jüngere aber möchten gern mehr arbeiten, bezahlte Überstunden machen. Teilzeitbeschäftigte sehnen sich meist nach mehr Arbeit, Vollzeiterwerbstätige würden gern ein bisschen kürzer treten.

Nur, wer ist dagegen? Die meisten Arbeitgeber versuchen, den Arbeitszeitbedürfnissen ihrer Beschäftigten entgegenzukommen. Flexible Arbeitszeitkonten regeln den Rest. Das Ergebnis: Die Durchschnittsarbeitszeit aller Beschäftigten des Jahres 2011 lag nur ein bisschen über 30 Stunden. Wofür also soll gekämpft werden? Dafür, dass jeder 30 Stunden arbeitet, egal wie alt, wie gebildet, wie verbraucht er ist, wie viele Kinder oder Angehörige Fürsorge erwarten, wie hoch der Hauskredit ist? Auf so eine Idee kann man nur kommen, wenn man den materiellen und familiären Verpflichtungen und Vorstellungen junger und mittelalter Familien komplett entrückt ist.

Auch die Gewerkschaften haben längst die Nase voll von den Arbeitskämpfen um die Arbeitszeit. Gerade läuft eine der schärfsten Tarifrunden der vergangenen Jahre an. Streiks an Flughäfen, im öffentlichen Dienst, möglicherweise demnächst in der Industrie. Von Arbeitszeit ist da keine Rede. Die Arbeitnehmer streiken für mehr Geld. Denn einer der Hauptgründe für die Unzufriedenheit von Beschäftigten ist, dass sie sich nicht fair bezahlt fühlen.

So bleibt der Aufruf eine schrullige Verirrung früherer Aktivisten, die hoffen, die neuen Kapitalismuskritiker vom Schlage des „FAZ“-Herausgebers Frank Schirrmacher zu ihren Testamentsvollstreckern machen zu können. Nur, dass die neue intellektuelle Salon-Linke mit dem Proletariat so gar nichts am Hut hat.

Zur Startseite