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Zwischenruf: Kälte und Mitgefühl

Ursula Weidenfeld über die Charaktereigenschaften des deutschen Führungspersonals in der Krise.

Sie ist noch nicht besonders alt, diese Wirtschaftskrise. Viele haben sie noch gar nicht richtig gespürt. Das Spüren geht gerade erst los: Die langen Weihnachtsferien in vielen Firmen sind ein Zeichen, danach die Kurzarbeitsanzeige, später vielleicht dann auch Arbeitslosigkeit. Und doch gibt es schon etwas, das sehr spürbar ist. Etwas, das die Wahrnehmung möglicherweise stärker prägen wird als materielle Verluste. Die beginnende Rezession verschärft schon jetzt die Eigenheiten des Führungspersonals der Deutschland AG.

Als würden sie auf einmal grell und erbarmungslos ausgeleuchtet, treten Charaktereigenschaften schärfer hervor, manchmal erscheinen sie schon jetzt als zynische Überspitzung. Auf dem Prüfstand stehen Loyalität, Ehrlichkeit, Mitgefühl, Übersicht, Klugheit und die Bereitschaft zum Anpacken. Auf der anderen Seite der Skala werden Zynismus, Wegducken, Kälte, Schummelei, das ganz kleine Karo und die Unentschlossenheit gemessen.

Es ist nicht so, dass alle schlecht abschneiden im neuen Licht. Selbst Banker können in dieser Zeit eine gute Figur machen. Das zeigt der scheidende Präsident des Bankenverbandes Klaus-Peter Müller, der frühere Commerzbank-Chef. Viele Eigentümerunternehmer gehören dazu. Aber auch ein Manager wie Siemens-Chef Peter Löscher, der offenbar bereit ist, den Mitarbeitern Vertrauensschutz einzuräumen. Eigenschaften eines Politikers wie Peer Steinbrück, bei dem man sich im vergangenen Boom immer fragte, warum der Mann seine erstaunliche Arroganz auf höchster Erregungsstufe ausleben musste, lassen sich nun neu und freundlicher deuten: Nun kann Steinbrück zeigen, was er kann. Dass er es sich offensichtlich zutraut, ist eher beruhigend als beängstigend. Anders Angela Merkel. Ihr Abwarten mag zwar in der Sache gerechtfertigt sein, doch ihr Zögern erscheint unsicher und ängstlich.

Die Wahrnehmung der Wirtschaftskrise wird geprägt sein von der Haltung, mit der die Menschen der neuen Situation begegnen. Haben sie den Eindruck, dass das Führungspersonal an fairen, offenen Lösungen interessiert ist und auch dafür steht? Dann wird der Ausgang ein anderer sein, als wenn man den Eindruck hat, dass Zauderer am Werk sind, die sich einbunkern, wegducken, lügen und tricksen. Jetzt reicht es nicht mehr aus, dass sich Unternehmen auf dem Papier Umgangsformen auferlegen. Jetzt müssen die Unternehmer, die Manager, die Betriebsratsvorsitzenden und die Politiker zeigen, dass diese Werte nicht nur in den Hochglanzbroschüren der Unternehmen, sondern auch in ihnen stecken.

Ursula Weidenfeld ist Chefredakteurin von "impulse".

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