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Zypern: Mauerfall in der Ledra-Straße

Die Zyprioten träumen wieder von der Vereinigung. Doch angesichts der vielen Rückschläge auf der Insel muss man sich vor allzu großen Hoffnungen hüten. Nun müssen sich die Griechen bewegen.

Bisher haben es Griechen und Türken auf der seit 34 Jahren geteilten Insel jedes Mal geschafft, selbst die aussichtsreichsten Bemühungen um Wiedervereinigung in einer weiteren Zementierung ihrer Trennung enden zu lassen. Trotzdem: Ein klein wenig Zuversicht ist nach diesem Frühlingserwachen erlaubt.

Das liegt vor allem daran, dass erstmals auf beiden Seiten der politische Wille da ist, zu einer Einigung zu kommen. Jahrelang hatten zunächst die Türken in Nikosia und Ankara jede Annäherung blockiert und auf die Teilung gesetzt. Als dann der türkisch-zyprische „Dr. No“, Rauf Denktasch, von dem einigungswilligen Mehmet Ali Talat abgelöst wurde, übernahm der griechisch-zyprische Präsident Tassos Papadopoulos die Rolle des Neinsagers – ein UN- Friedensplan scheiterte. Doch seit Papadopoulos im Februar in der griechisch-zyprischen Republik von Demetris Christofias abgelöst wurde, gibt es keinen „Dr. No“ mehr auf der Insel.

Zum ersten Mal seit der Teilung 1974 werden der griechische und der türkische Sektor zur selben Zeit von Politikern geführt, denen an einer Wiedervereinigung Zyperns auf der Grundlage der Gleichberechtigung beider Volksgruppen gelegen ist. Diese historische Chance kommt so schnell nicht wieder. Die EU als gemeinsamer Bezugspunkt kann einen großen Beitrag dazu leisten, dass diese Chance nicht vertan wird.

Es gibt schwierige Fragen zu klären. Was soll mit den Häusern und Grundstücken von Griechen und Türken geschehen, die aus ihren Wohnorten vertrieben wurden? Was ist mit den 40 000 türkischen Soldaten auf der Insel? Die Schlaglöcher auf dem Weg zur Einheit sind tief. Die 700 000 Griechen und die 200 000 Türken auf Zypern werden in den kommenden Monaten Zugeständnisse machen müssen, wenn etwas werden soll aus der Wiedervereinigung.

Bei den Problemen, die unweigerlich auftauchen, kann ein Symbol der Gemeinsamkeit wie die Öffnung der Ledra-Straße im Zentrum von Nikosia helfen. Vergleiche mit der Mauer im einst geteilten Berlin sind nicht übertrieben. Die Volksfestatmosphäre, in der griechische und türkische Zyprer gemeinsam im bisherigen Niemandsland feierten, illustriert den neuen Optimismus auf der Insel.

Selbst die verbissensten Hardliner haben sich von der neuen Welle der Hoffnung mitreißen lassen. Als der türkische Generalstabschef Yasar Büyükanit vergangene Woche Zypern besuchte, trank er einen Kaffee in der Innenstadt und inspizierte die Gegend um den neuen Grenzübergang – und zwar in Zivil. Bei der Grenzöffnung gestern war weit und breit kein türkischer Soldat zu sehen. Noch vor einem Jahr hatte Büyükanit öffentlich gegen das Vorhaben des türkisch-zyprischen Präsidenten Talat protestiert, die Ledra- Straße zu öffnen. Die Tauben haben sich durchgesetzt.

Das Ziel einer gemeinsamen Zukunft in der EU kann dazu beitragen, weiteres Vertrauen zu schaffen. Die griechischen Zyprer, die schon seit vier Jahren dazugehören, sollten einer Lockerung des EU-Handelsembargos gegen die türkischen Nachbarn auf der Insel zustimmen. Das würde nicht nur den Wohlstand im türkischen Sektor mehren, es würde auch der Türkei ermöglichen, ihre Häfen für Schiffe aus dem griechischen Teil Zyperns zu öffnen, wie es die EU verlangt. Eine klassische „Win- win-Situation“ würde entstehen. In Berlin stammelten die Menschen nach der Maueröffnung „Wahnsinn“. Leise flüstern darf man dieses Wort auf Zypern auch.

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