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Seit 35 Jahren über Stock und Stein: Oft stand die Mercedes G-Klasse vor dem Aus. Der kleinen, aber feinen und betuchten Fangemeinde ist es zu verdanken, dass sie immer noch gebaut wird.

© Markus Mechnich

Fahrbericht Mercedes G-Klasse 350 Bluetec: Dieses Auto ist ein Statement

Seit 35 Jahren ist die Mercedes G-Klasse auf allen möglichen und unmöglichen Pfaden unterwegs. Aber ist das Konzept noch zeitgemäß? Land Rover stellt sein Offrad-Urgestein Defender demnächst ein. Das G rollt aber weiter. Wir haben ihn im Alltag getestet.

Einmal G, immer G. Es gibt nur wenige Autos, die eine solch eingeschworene Fangemeinde haben wie das G-Modell von Mercedes. Betrachtet man die heutige SUV-Welle, dann wäre das G sogar eine Art Vorreiter. Allerdings hat das G-Modell mit den weichgespülten Design-Bombern so viel zu tun wie eine Radkappe mit Alu-Felgen. Die einen sind billige Imitate, der andere das Original mit allen Fähigkeiten. Aber ist die Mercedes G-Klasse außerhalb der Offroad-Parcours heute noch zeitgemäß? Wir waren mit dem Veteran in der Praxis unterwegs.

Außen und Innen

Design? Das ist was für Anfänger. Die Mercedes G-Klasse ist ein Statement, eine Herausforderung an alle Vernunft-Dogmatiker. Wenn ein Kind ein Auto zeichnen soll, dann sieht das ziemlich genau so aus. Und das ist gut so, wie unser Ex-Regierender so schön sagte. Deshalb kürzen wir an dieser Stelle ab und fassen zusammen: Er ist groß, hoch und schwer – Und das ist er aus gutem Grund. Punkt! Hat noch jemand Zweifel? Dann sollte er bei einer G-Klasse einfach mal die Funkfernbedienung bemühen. Ein Druck und es macht „Klack“. Und zwar nicht dieses sanfte Geräusch, wie man es von anderen Autos kennt. Nein, ein richtig mechanisches „KLACK!“. So schließen Gefängnistüren. Beim G heißt das einfach: Du bist willkommen. Ok, wir treten ein.

So urig wie einst zeigt sich die aktuelle Mercedes G-Klasse innen nicht mehr. Das Interieur gleicht in weiten Teilen denen der Pkw mit dem Stern. Immerhin gibt es noch den Wählhebel für die Automatik in der Mitte und den Griff zum Festhalten für den Beifahrer.
So urig wie einst zeigt sich die aktuelle Mercedes G-Klasse innen nicht mehr. Das Interieur gleicht in weiten Teilen denen der Pkw mit dem Stern. Immerhin gibt es noch den Wählhebel für die Automatik in der Mitte und den Griff zum Festhalten für den Beifahrer.

© promo

Innen sieht die Sache wieder etwas anders aus. Mit der Überarbeitung 2012 hat auch hier der Luxus Einzug gehalten. Zumindest soweit nötig. Aber die Kundschaft, die Preise von 80 000 bis zu 264 000 Euro (G 65 AMG) hinlegt, erwartet dann doch etwas Komfort. Also wurde das Armaturenbrett neu gestaltet und sämtliche Bedienteile aufgefrischt. Die Mittelkonsole zeigt sich nun im Look der Pkw von Mercedes. Auch das Lenkrad und die beiden Rundinstrumente könnten aus einer E-Klasse stammen. Glücklicherweise hat man in Stuttgart der Versuchung widerstanden den amerikanisch geprägten Automatik-Wählhebel hinter dem Lenkrad, der bei den übrigen Mercedes-Modellen nun die Regel ist, auch hier einzupflanzen. In der G-Klasse gibt es noch den klassischen Wählhebel in der Mitte. Hat man auch was zum Festhalten, wenn es mal rauer zugeht. Gleichem Zweck dient übrigens auch der opulente Haltegriff über dem recht klein geratenen Handschuhfach. "When the going's rough", summt es da im Kopf.

Sitzen und Laden

Wer sich über das breite Trittbrett auf den Fahrersitz geschwungen hat, den überkommt ein Gefühl von Angekommen-Sein. Platz ist hier weniger ein Thema. Schließlich thront man bei einer Fahrzeughöhe von 1,94 Metern über den Dingen. Beide Plätze vorne sind durch die hohe Bauart in Sachen Beengtheit völlig unverdächtig. Das gilt auch für die hintere Sitzbank, was bei einer Fahrzeuglänge von nur 4,66 Metern nicht unbedingt selbstverständlich ist Die Mercedes G-Klasse gibt es übrigens auch mit kurzem Radstand und einer Länge von 4,27 Meter. Aber die Rückbank beim G hat den Charakter eines Busses. Die Kniefreiheit ist nicht übermäßig, aber in Ordnung. Durch die Höhe hat es das Modell nicht nötig mit technischen Tricks wie vertiefter Rücksitzbank oder geneigter Rücklehne wichtige Zentimeter herauszuschummeln. Im Gegenteil: Die Fond-Passagiere sitzen sogar leicht erhöht. Man sitzt aufrecht, hat jede Menge Kopffreiheit und lässt den Blick in die Ferne schweifen. Im Zweifel gibt es als Option auch Entertainment für hinten. Aber das ist vielleicht eher was für russische Ölmagnaten, vielmehr den Magnaten-Nachwuchs.

Mit einer Länge von 4,66 Meter im Normalzustand gehört die G-Klasse nicht mal zu den größten Autos auf der Straße. Die Höhe von 1,94 Meter ist hingegen schon herausragend.
Mit einer Länge von 4,66 Meter im Normalzustand gehört die G-Klasse nicht mal zu den größten Autos auf der Straße. Die Höhe von 1,94 Meter ist hingegen schon herausragend.

© Markus Mechnich

Ähnlich souverän geht das Urgestein mit dem Thema Ladevolumen um. Zugegeben, an der Stelle vergleichen wir sonst auf den Liter genau. Wollte man hier vergleichen, dann käme man mit den nackten 250 Litern, die der Kofferraum im Normalzustand bietet, auf einen Vergleich mit einem VW Polo (280 Liter). Das ist aber nur die halbe Wahrheit, weil es nur der halbe Kofferraum ist. Beim G lässt sich die Ausrüstung, pardon das Gepäck, problemlos bis unter die Decke stapeln und bringt es so locker auf den doppelten Wert. Das zeigen auch die 2250 Liter, die als maximales Ladevolumen bei umgelegter Rückbank angegeben werden. Da lässt sich dann ein Polo fast schon drin parken, auch wenn es von der Länge her (siehe oben) nicht ganz reicht.

Fahren und Tanken

Auch beim Fahren bewegt sich die Mercedes G-Klasse außerhalb vieler Normwerte für normale Automobile. Bei einem SUV würden wir jetzt schauen, wie stabil sich das Auto in den Kurven verhält, wie souverän der Antrieb mit dem Gewicht zurecht kommt und wie viel Sprit er dabei konsumiert. Aller Kriterien, die beim G irgendwie nicht ziehen. Das Fahrwerk der G-Klasse ist ausgesprochen weich ausgelegt und wer hier anfangen würde rumzumäkeln, der läge total daneben. Denn das G ist vor allem eines: Ein Auto fürs Gelände. Und da wäre eine straffe Aufhängung, wie es bei Normalo-Autos von uns gerne gefahren wird, alles andere als förderlich. Also schwingt sich das G in die Kurven, wankt auch gerne mit seinen klassischen Gasdruckdämpfern tief in die Stahlschraubenfedern, wenn es etwas flotter voran geht und hat einen meilenweiten Grenzbereich. Den will man mit dem großen Geländewagen auch gar nicht bis zum Ende ausreizen. Denn jeder, der auch nur ein paar Schulstunden in Physik aufgepasst hat, wird sich denken können, dass, wenn diese Masse von mehr als 2,3 Tonnen mal eine Eigendynamik bekommt, sie kaum mehr aufzuhalten ist. Da nutzt auch das beste ESP nur noch wenig.

Auf der Straße ist unser Mercedes G 350 Bluetec ohnehin kein Rennwagen. Mit 211 PS bewegt sich das Auto auf maximal 175 Stundenkilometer. Die will man aber nicht ernsthaft ausreizen. Auf der Bundesstraße nach Ludwigsfelde runter fahren wir genau die angewiesenen 120 km/h und sind damit absolut zufrieden. Auf der Autobahn dürfen es auch mal 140 werden. Aber dann schaltet sich abermals die Physik ein. Und zwar an der Tanknadel. Man sollte nie vergessen, dass man eine fast zwei Meter hohe Schrankwand bewegt. Masse und die Abwesenheit jeglicher aerodynamischer Grundform (cw-Wert: 0,54) arbeiten sich ohnehin schon ordentlich am Tank ab. Auf den Straßen Berlins fahren wir, wie erwähnt, sehr gemütlich, mit 13 Litern im Schnitt. Auf der Autobahn sank der von uns gefahrene Schnitt auf etwa zehn Liter. Wer jetzt aufschreit, dem sei gesagt, dass diese Werte übrigens gleichauf oder sogar unter dem angegebenen Normverbrauch liegen. Wie auch der Gesamtschnitt unserer Fahrten, der wir mit glatten elf Litern gemessen haben. Der angegebene Normverbrauch liegt bei 11,2 Liter. Das ist bei all den Auto-Test, die wir gemacht haben, eine Premiere.

Die Geländefähigkeiten der Mercedes G-Klasse stehen im Grunde außer Konkurrenz. Bodenfreiheit 21,7 Zentimeter, der Unterboden komplett mit Stahl geschützt und die Böschungswinkel vorne und hinten liegen bei fast 45 Grad.
Die Geländefähigkeiten der Mercedes G-Klasse stehen im Grunde außer Konkurrenz. Bodenfreiheit 21,7 Zentimeter, der Unterboden komplett mit Stahl geschützt und die Böschungswinkel vorne und hinten liegen bei fast 45 Grad.

© Markus Mechnich

Wichtig bei der Mercedes G-Klasse ist aber weder Verbrauch noch Kurvenverhalten. Wichtig ist das Potenzial im Gelände. Und davon gibt es durchaus eine Menge. Drei Differentialsperren können per Schalter angewählt werden, je eine für die Vorderachse, ein mittleres Differential und eines für die Hinterachse. Über ein Reduktionsgetriebe wird das gewaltige Drehmoment von 540 Newtonmeter bei geringer Drehzahl auf die Achsen übertragen.

Bedeutet in der Praxis: Auf Feldwegen fährt es sich mit der G-Klasse wie auf einer Autobahn. Auch weil Motor und Antriebswellen mit Stahlplatten geschützt sind und die Bodenfreiheit mit 21,7 Zentimetern geradezu fürstlich ausfällt, gibt es nur wenige Hindernisse. In der Sandkuhle, die wir durchfahren zeigen sich auch die Stärken der Geländetechnik. Selbst aus dem tiefen Feindsand, wo das schwere Auto erst mal tief einsinkt, wühlt er sich problemlos wieder heraus. Der permanente Allradantrieb und die Siebengang-Automatik spielen dabei anstandslos zusammen. Abseits der Straßen ist das G in seinem Element. Man fühlt sich wie eine Seelöwe, der vom Festland ins Wasser springt. Hier bin ich zu Hause.

Hören und Sehen

Trotz der Überarbeitung vor zwei Jahren haben sich nur wenige Assistenzsysteme in das Modellprogramm verirrt. Ein Tempomat macht Sinn. Eine akustische Einparkhilfe auch, zumindest hinten. Eine Rückfahrkamera ist noch besser. Mehr braucht es eigentlich nicht. Die Rundumsicht ist so gut wie bei kaum einem anderen Auto. Nur auf Kinder und Radfahrer gilt es verstärkt aufzupassen. Wer möchte, der kann sich natürlich das volle Entertainment-Programm samt Navigation in das Auto bestellen. Bluetooth-Telefonie, Harmann-Kardon-Sound samt Verstärker, TV-Empfang und Displays für die Rücksitze – Alles kein Problem.

Wählen und Zahlen

So eine erfreulich kurze Aufpreisliste haben wir bei einem deutschen Hersteller schon Jahre nicht mehr gesehen. Natürlich lässt sich auch die Mercedes G-Klasse ordentlich mit Leder und Entertainment (siehe oben) ausstaffieren. Schließlich sollen ja auch die Ölmagnaten mit Luxus beglückt werden. Aber die greifen ohnehin gleich zu einem der AMG-Modelle oder gehen direkt zum Tuner.

In Sachen Preisgestaltung fährt die Mercedes G-Klasse fast ebenso singulär wie bei der Offroadkompetenz. Mindestens 87 000 Euro werden für das günstigste Modell fällig. Wer auf starke Benziner setzt, der findet sich jenseits der Marke von 100 000 Euro wieder.
In Sachen Preisgestaltung fährt die Mercedes G-Klasse fast ebenso singulär wie bei der Offroadkompetenz. Mindestens 87 000 Euro werden für das günstigste Modell fällig. Wer auf starke Benziner setzt, der findet sich jenseits der Marke von 100 000 Euro wieder.

© Markus Mechnich

Unser Mercedes G 350 Bluetec ist sozusagen die Vernunftvariante der G-Klasse. Und mit 87 066 Euro Basispreis, halten Sie sich fest, das Einstiegsmodell. Der einzige Diesel ist im Grunde aber die eigentliche G-Klasse. Der Achtzylinder-Benziner (Basispreis: 102 060 Euro) und die beiden AMG-Varianten zielen wirklich auf Scheichs und Superreiche. Immerhin hat das Auto stets alle Allradtechnik an Bord. Da gibt es keine Kompromisse. Sonst braucht es eigentlich nicht viel. Ob sich jemand das Schiebedach für 1796 Euro, eine Lederausstattung für 4133 Euro oder das Einparkpaket mit Sensoren und Rückfahrkamera für 1404 Euro gönnen möchte, ist im Grunde simple Geschmackssache. Einen dicken Geldbeutel braucht es für die G-Klasse so oder so.

Gutes und Schlechtes

Dieses Auto ist ein Singulär auf den Straßen und das alleine ist schon eine Freude. Woran möchte man ein G wirklich messen? Im Gelände ist das Auto im Grunde über jeden Zweifel erhaben. Da macht ihm kaum jemand was vor. Auf der Straße ist es eben ein Geländewagen, mit dem es sich bequem und halbwegs flott reisen lässt. Dafür ist die Mercedes G-Klasse eben genauso komfortabel, wie sie sein muss. Und ja natürlich: Das Auto ist grotesk teuer. Allerdings ist die Mercedes G-Klasse auch ausgesprochen wertstabil und hat ihren feste Fangemeinde. Wer das Auto braucht, der liebt es. Und für zehn Jahre alte Exemplare werden auf einschlägigen Internetseiten immer noch rund 25 000 Euro aufgerufen. Dennoch gibt es günstigere Geländewagen, die sich abseits der Straßen nicht viel schlechter schlagen. Das G ist eine Geschmacksfrage. Wer es will, der ist auch bereit dafür tief in die Tasche zu greifen. Und er bekommt mehr als ein Auto. Er bekommt eine Art Mythos auf vier Rädern. Nur gut, das Mercedes alle Versuche der Controller, das Modell zu beerdigen, bisher widerstanden hat. So ein Auto ist charakterbildend für eine Marke. Viel mehr als es jeder Sportwagen vermag. Nicht mehr und nicht weniger.

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