Die automobilen Achtzigerjahre waren in vielerlei Hinsicht anders als heute. Das Marketing gab sich weniger professionell, und ein Premiumhersteller (sofern der Begriff überhaupt verwendet wurde) hatte kein Problem damit, zwei Businessklassen gleichzeitig vom Band laufen zu lassen.
Zum Beispiel Volvo: Die Schweden bauten ihre 200er-Reihe noch bis 1991, also auch über das gesamte 80er-Jahrzehnt, während der Volvo 700 bereits 1982 eingeführt wurde und sich im Design behutsam weiterentwickelte. So richtig innovativ wurde der 700er allerdings erst mit dem Facelift – so rüsteten die Ingenieure den noblen Kasten-Volvo mit einer Multilink-Hinterachse aus, um Fahrkomfort wie Straßenlage deutlich zu verbessern. Außerdem erhielt der Schwede 1987 das erste RDS-Radio mit automatischer Sendererkennung und -nachstellung. Mit knapp unter 4,80 Meter Außenlänge war die obere Mittelklasse damals noch überschaubar in der Abmessung. Viel wichtiger aber: Dank der schlichten Form ist der Skandinavier absolut übersichtlich und lässt einen (damals sowieso noch nicht erfundenen) Parksensor kaum vermissen. An Luxus-Features fehlte es der Limousine natürlich nicht: Elektrische Fensterheber, Niveauregulierung, Klimaanlage, Leder, Sitzheizung und elektrisches Schiebedach waren für die Sechszylinder-Ausgabe kein Thema.
Charakteristischer Klang
Stichwort Sechszylinder: Selbstredend brauchte eine echte gehobene Mittelklasse einen Sechsender als Topmotorisierung. Hier kam weiterhin der als Gemeinschaftsprojekt von Peugeot, Volvo und Renault entwickelte 90-Grad-V6 zum Einsatz – natürlich mit 2,8 statt 2,7 Litern Hubraum wie seit 1980 schon im 264. Da die seit 1975 in verschiedenen Ausführungen eingesetzte Maschine ursprünglich als V8 geplant war und die Konstrukteure infolge der Ölkrise in den Siebzigern einfach eine Zylindereinheit wegließen, klingt das ausgefallene Triebwerk mit seinem sonoren Brabbeln ausgesprochen charakteristisch. Kritiker werfen ihm einen leicht unrunden Lauf vor, was sich in der Praxis indes nie als wirklich störend erwiesen hat.

Dass der 760er eine besondere Stellung einnimmt, beweisen die Stückzahlen. Von über einer Million gebauten 700er wurden knapp unter 200.000 mit den stärkeren Aggregaten ausgerüstet. Es ist allerdings kein Problem, in den einschlägigen Börsen ein geeignetes Exemplar zu finden – eine Reise nach Skandinavien wird also nicht nötig sein. Grund genug, um ein gepflegtes Exemplar unter die Lupe zu nehmen, das allerdings auch seinen Preis hat. Ein Westfale aus Kevelaer bietet einen 760 GLE aus dem Jahre 1988 für 10 000 Euro und damit weit über den Classic Data-Werten an.
Ausschließlich Automatik
Mit über 200 000 Kilometer auf der Uhr wirkt der robuste Schwede noch immer fast neuwertig. Der Lack mit tiefem Glanz lässt auf eine gute Pflege schließen, von Korrosion keine Spur. Dennoch wird das preislich herausragende Stück seinen Fan finden müssen.
Bereits direkt nach dem Einstieg merkt man, dass Volvo schon vor 25 Jahren Wert auf Sicherheit gelegt hat. Statt zu bimmeln tickert es in nerviger Art und Weise so lange, bis der Sicherheitsgurt angelegt wird. Das typische kleine Loch ist auch vorhanden, in das man einen Stift stecken muss, bevor der 105 kW/143 PS starke Einspritzer zum Leben erwacht.

Und weil standesgemäßer Antriebskomfort erst mit einem Automatikgetriebe vollendet wird, bot Volvo seine Topvariante gar nicht erst anders an. Zusammen mit dem geschmeidigen Wandler gibt der Zweiventiler ein sämiges Bild ab; sanft kommt der 760 auf Geschwindigkeit und schaltet selbst nach einem Vierteljahrhundert noch ruckfrei durch die Fahrstufen. Grundsätzlich stehen deren drei zur Verfügung – auf Knopfdruck lässt sich aber noch ein Overdrive aktivieren, um die Drehzahlen bei langer Autobahnfahrt auf ein niedriges Level abzusenken, so dass man möglichst leise und ressourcenschonend unterwegs ist.
Nicht untermotorisiert, aber kein Renner
Wer jetzt ein dynamisches Kraftpaket erwartet, möge sich bitte nicht getäuscht fühlen. Selbst die 155 PS-Exemplare sind – die Leistung verrät es – keine Renner. Allerdings zieht der sogar zu Neuzeiten schon betagte Motor dank 240 Newtonmeter Drehmoment souverän aus dem Drehzahlkeller heraus und verwöhnt durch ansehnliche Elastizität. Somit ist der 1,5-Tonner keineswegs untermotorisiert, wenngleich der Papierwert eher ärmlich klingt.

Klar, 11,5 Sekunden Werksangabe für den Standardsprint auf 100 km/h sorgen heute eher für Schmunzeln, und 175 Sachen Spitze sind überholt. Dafür ist der 760 ein geräumiger Tourer, der für seine Abmessungen wahrlich luftige Platzverhältnisse bietet. Sogar im Fond lässt sich hervorragend reisen – das gilt sogar für großgewachsene Mitfahrer. Die Sitze sind üppig und weich, allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Konturiert ist eben anders. Dafür glänzt das Interieur mit klarer Knöpfchen-Anordnung und offeriert sogar (sehr zeituntypisch) einige Ablagen, darunter ein Mittelfach, was allein in puncto Volumen nicht mehr auf der zeitlichen Höhe ist. Aber genau das macht ja den Charme eines Oldtimers aus. Nur, so ein richtiges Oldtimer-Gefühl will im 700er (noch) gar nicht aufkommen. Also zugreifen, schonend behandeln und noch ein paar Jahre reifen lassen. Ein toller fahrbarer Untersatz ist der 760er jedenfalls auch ohne richtiges Oldtimer-Gefühl noch heute.

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