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Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesbildungsministerin, gibt der dpa Deutsche Presse-Agentur im Bundesministerium für Bildung- und Forschung ein Interview am 24. Juni 2022
Stark

© picture alliance/dpa/Carsten Koall

Nach dem großen Knall: Mehr Dauerstellen für Wissenschaftler?

Monatelang wurde gefeilt an der Reform des umstrittenen Sonderarbeitsrechts für Hochschulen und Forschungsinstitute. Trotzdem erntete die Ampel mit ihrem Vorschlag einen Shitstorm. Und jetzt? 

Die Erleichterung, ein paar Tage Zeit gewonnen zu haben, müsse jetzt sehr schnell von einem Plan abgelöst werden, sagte ein hochrangiger Ampel-Wissenschaftspolitiker Anfang der Woche. „Gerade weiß keiner so recht, wie es weitergehen wird.“ 

Eine erstaunlich ehrliche Einschätzung der Lage kurz nach dem großen Knall. Nur 51 Stunden, nachdem Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am Freitagnachmittag die mit Spannung erwarteten BMBF-Eckpunkte zur Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) präsentiert hatte, zogen ihre Staatssekretäre diesen am Sonntagabend schon wieder zurück. Wobei schon die Wahrnehmungen über das, was da eigentlich am Wochenende passiert ist, in der Koalition auseinandergehen. Und sogar darüber, ob das BMBF seinen Vorschlag überhaupt wirklich zurückgezogen hat.

Der Reihe nach. In der Wissenschaft gilt ein besonderes Arbeitsrecht, das länger als anderswo Stellenbefristungen erlaubt – mit der Begründung, der wissenschaftliche Arbeitsmarkt diene vor allem der Ausbildung und Qualifizierung künftiger Forschergenerationen und müsse daher flexibel bleiben. Mit dem Ergebnis, dass bundesweit von allen hauptamtlichen wissenschaftlichen Beschäftigten ohne Professur 81 Prozent auf einem Zeitvertrag sitzen. Und sogar von denen, die eine Promotion oder eine Habilitation vorweisen können, den sogenannten „Postdocs“, sind es an den Unis 62 Prozent. 

Gewerkschaften und Initiativen wie „#Ichbin Hanna“ sprechen von einem Skandal – und haben in den vergangenen Jahren einen so starken öffentlichen Druck aufbauen können, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag viel versprochen hat: „Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase“ vor allem und „Dauerstellen für Daueraufgaben“ in der Wissenschaft. Mit anderen Worten: ein völlig neues WissZeitVG, in dem das besondere Arbeitsrecht für die Wissenschaft verbrieft ist.

Welle der Empörung

Dass die so geschürten maximalen Erwartungen sie noch vor maximale Probleme stellen könnten, schwante dem BMBF und den Wissenschaftspolitikern von SPD, Grünen und FDP dann sehr schnell – woraufhin sie einen in dem Umfang selten gesehenen, monatelangen Beteiligungsprozess aufgleisten. Ministerium und Ampel-Fraktionen veranstalteten zahlreiche „Stakeholder“-Konferenzen, sie luden Mitarbeiterinitiativen ein, Hochschulrektoren und die Direktoren von Forschungsinstituten, Hochschulforscher, Verbände und Gewerkschaften. Anschließend handelten BMBF und Abgeordnete in zahlreichen Berichterstatter-Gesprächen Kompromisse aus und schworen sich mühsam auf die gemeinsame Reformlinie ein. Als diese endlich stand, ging Stark-Watzinger mit dem Vorschlag sofort an die Öffentlichkeit.

Vielleicht hofften manche auch, der Zeitpunkt der Bekanntgabe kurz vor dem Wochenende sei strategisch günstig gewählt gewesen, doch stattdessen schwoll eine Empörungswelle an, die alles Dagewesene in den Schatten zu stellen drohte. Nicht so sehr wegen „#IchbinHanna“, das wie üblich auf Twitter sehr erfolgreich vor allem in der Postdoc-Szene mobilisierte. Sondern weil sich plötzlich auch hunderte Professoren per Offenem Brief und unter dem Hashtag „ProfsfürHanna“ mit den Protesten solidarisierten, darunter einflussreiche Intellektuelle wie Carlo Masala, Hedwig Richter, Armin Nassehi, die Ethikratvorsitzende Alena Buyx oder die Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats, Heike Solga. Das war die Entwicklung, mit der die Ampel offenbar nicht gerechnet hatte. Hektische Telefonate der Verantwortlichen folgten – und am Sonntagabend das öffentliche Zurückrudern.

Besonders der Plan, die befristete Einstellung von Postdocs künftig nur für drei statt sechs Jahre zu erlauben, verursachte Aufruhr. Während von Ministerin Stark-Watzinger nichts zu hören war, teilte ihr parlamentarischer Staatssekretär Jens Brandenburg um 17.58 Uhr auf Twitter mit: Man nehme die Diskussion „sehr ernst“. Und: „Schon die Stakeholder-Beteiligung hat uns gezeigt, dass die Erwartungen hier weit auseinandergehen. Umso wichtiger ist es, diese Frage vor Fertigstellung des Referentenentwurfs noch einmal zu debattieren. Wir werden kurzfristig dazu einladen.“

Widersprüchliche Aussagen

Ganz anders und gar nicht nach begrenzter Schadenskontrolle klang jedoch der Tweet, den Brandenburgs Kollegin, die beamtete BMBF-Staatssekretärin 14 Minuten später absetzte. „Mein Fazit zu den Reaktionen“, schrieb sie: „Ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen wird es nicht tun. Wir brauchen eine neue geteilte Vision.“ 

Ja, was denn nun? Nur eine kurze Extra-Runde im „Stakeholder-Prozess“ bei ansonsten weiter geltenden Eckpunkten? Oder womöglich ein ganz neuer Anlauf, wie ein seit Sonntag kursierendes Szenario lautet, sogar unter Einbeziehung des Wissenschaftsrats?

81 %
aller Wissenschaftler ohne Professur haben einen Zeitvertrag

Im BMBF versuchten sie am Montag als erstes, den Eindruck zu zerstreuen, Döring und Brandenburg hätten widersprüchliche Botschaften gesendet. Beides sei doch denkbar: Bei den weniger umstrittenen Reformbestandteilen eine rasche Einigung bei leichter Modifikation der BMBF-Vorschläge, bei der Postdoc-Frage dagegen womöglich der Einstieg in die Suche nach der neuen geteilten Vision, die Döring beschwor.

Tatsächlich? Die Diskussionsrunde, die Jens Brandenburg am Mittwoch wiederum per Twitter für nächste Woche Donnerstag ankündigte, soll sich ausschließlich um den Punkt drehen, an dem die Gegensätze besonders groß waren. „Wie angekündigt wollen wir die Frage der Höchstdauer der PostDoc-Qualifizierungsbefristung vor Erstellung des Referentenentwurfs noch einmal diskutieren“, schrieb Brandenburg. Dazu habe man „Vertreter/-innen der Gewerkschaften, Beschäftigteninitiativen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ eingeladen. Das Neue: Die Diskussionsrunde soll live gestreamt werden.

Statt dem Start der gemeinsamen Suche nach einer neuen geteilten Vision also doch nur eine weitere, wenn auch abgeänderte „Stakeholder“-Runde? Dabei waren einige in der Ampel nach Sonntag konsterniert, wie kurz man mit der Verteidigung des über Monate erarbeiteten Papiers durchgehalten hat. Wieso, fragen sie, sollte nach dem Knall jetzt ausgerechnet die nächste Diskussionsrunde eine Lösung bringen, die nicht zu einem neuen Shitstorm führt? Und wenn der kommt, auf welcher Grundlage wolle man den dann durchhalten?  

Positionen weit auseinander

Zu weit auseinander scheinen die Vorstellungen etwa von Hochschulrektorenkonferenz (drei Jahre Befristung seien „deutlich“ zu kurz) und „IchbinHanna“ (Postdoc-Befristung überhaupt nur noch, wenn im Anschluss eine Dauerstelle zugesagt ist). Und die mittlerweile 1700 „ProfsfürHanna“ sind sich zwar in der Ablehnung der BMBF-Eckpunkte einig, aber wollen sie deshalb alle das, was „IchbinHanna“ fordert?

Vieles spricht dafür, dass jede Reform des Gesetzes durch den Bund scheitern wird, solange die Länder keine zusätzlichen Dauerstellen vorschreiben und finanzieren – und die Hochschulen nicht ihre Karrieresysteme grundsätzlich ändern.

Weshalb, so scheint es, die Koalition sich am Ende wird durchringen müssen. Zu dem Eingeständnis, dass sie nach aller Partizipation die Novelle doch gegen Proteste durchziehen muss. Oder zu dem Mut, die Debatte in neue Hände zu geben. Der Wissenschaftsrat, so ist zu hören, könnte bereit stehen.

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