zum Hauptinhalt
Die frische Seeluft tut sogar den Pferden gut.

© Mike Wolff

Ostseeküste Mecklenburg: Im Galopp über Muscheln

Auf der Insel Poel erfüllt sich unsere Autorin einen Kindheitstraum: Sie galoppiert über Strand und Feld, während neben ihr Rehe aufspringen.

Plötzlich steht Ostseewasser in meinen Schuhen. Sehr viel Ostseewasser. Es schwappt in ihnen vor und zurück. Das Pferd, auf dem ich sitze, ist recht klein, das Wasser reicht ihm fast bis zum Bauch. Vorsichtig setzt es Huf vor Huf. Schon jetzt spritzt das Wasser umher, dann fängt es auch noch zu Traben an. Jetzt bin ich nass bis zum Knie, und das Geschaukel im matschigen Sand fühlt sich an, als könne die Stute jederzeit straucheln. Ich spanne jeden einzelnen meiner Oberschenkelmuskeln an, um aufrecht und elegant im Sattel zu sitzen. Ich wage es, einen Blick übers Meer in Richtung Schweden zu werfen. Doch da ist kein Land, nur die endlose, graublaue Linie des Horizonts.

Es ist ein Nieselregentag im September. Ich bin auf die Insel Poel in der Wismarer Bucht gekommen, um das zu machen, was als Traum eines jeden Reiters gilt: Einen Ausritt am Strand. Es ist nicht mein erster, aber der letzte liegt so lange zurück, dass ich mich kaum erinnern kann. Vor über 20 Jahren bin ich regelmäßig geritten.

Vor mir reitet Tina Köpp. Sie sitzt beim Stechschritttrab eleganter im Sattel als ich. Kein Wunder, sie reitet fast jeden Morgen und oft auch abends über den Strand und durchs Wasser. Von Oktober bis März darf man auf der Insel Poel den ganzen Tag über mit dem Pferd an den Strand, während der Sommersaison ist es an bestimmten Strandabschnitten zwei Mal täglich erlaubt.

Köpp arbeitet für die Reitanlage Plath in Timmendorf, im Sommer gibt sie Reitunterricht und begleitet Urlauber zu Ausritten: „Wir fragen vorher nach der Reiterfahrung. Es ist schon gut, wenn sie ein Reitabzeichen haben.“ Mein Reitabzeichen habe ich vor fast 30 Jahren gemacht. Köpp hat mir gleich das ruhigste Pferd ausgesucht: Heidi, eine Schimmelstute. Eine gute Wahl, es klappt prächtig mit uns. Wenn es hier im Meer nur gerade nicht so nass und wackelig wäre.

Hinter mir sitzt Lara Abrahamczik auf einer braunen Stute mit schwarzer Mähne und weißer Blesse. Lara ist 22 und macht mit ihren Eltern Urlaub auf Poel. Die Reise sei ein Geburtstagsgeschenk. „Meine Eltern wussten, dass ich schon immer mal am und im Meer reiten wollte.“

Wir traben noch ein wenig in den Wellen umher, dann lenken wir die Pferde auf den Strand, wo man galoppieren kann. Ich treibe meine Stute mit den Schenkeln an. Sie saust los, durch den Seetang, über Steine und Muscheln.

Wir parieren durch, traben noch kurz und verlassen den Strand durch die Dünen. Das feine Dünengras geht in wucherndes Gebüsch über. Lara Abrahamczik klopft liebevoll den Hals ihres Pferdes. Auch Lara hat nasse Füße bekommen. „Aber ich bin rundum glücklich. Trotz des Wetters. So ein Ausritt am Strand ist tatsächlich genauso toll, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte.“

"Wir reiten durch einen grünen Korridor aus Laubbäumen und Gebüsch. Im Galopp höre ich das Meer rauschen, rieche es sogar."
"Wir reiten durch einen grünen Korridor aus Laubbäumen und Gebüsch. Im Galopp höre ich das Meer rauschen, rieche es sogar."

© Mike Wolff

Im Sommer müssen Reiter und Pferde den Strand um halbzehn wieder verlassen, dann gehört er bis 19 Uhr den Badegästen. Wir reiten also landeinwärts, auf einen Hügel, vorbei an Koppeln, auf denen dutzende Pferde stehen. Die Wege eignen sich gut zum Reiten, Autos dürfen nicht überall auf der Insel fahren. Man könnte sagen, dass Poel eine Pferdeinsel ist - mindestens 140 Tiere leben auf dem 36 Quadratkilometer großen Eiland. Die Hälfte von ihnen gehört zur Reitanlage Plath. 15 Pferde sind im Sommer für Kinder und Reittouristen im Einsatz. Die anderen werden hier aufgezogen, für Turniere trainiert und verkauft. In Plaths Gastboxen stehen Pensionspferde, die ohne ihre Besitzer auf die Insel kommen, und Pferde, die Reiter im Urlaub selber mit auf die Insel bringen.

Zweieinhalb Kilometer weiter sind noch Pferde zu Hause, im Gestüt Neuhof bei Kirchdorf. Von hier startet jeden Morgen eine Reitergruppe zum Ausritt, angeführt von Reitlehrer Wolfjürgen Schulz. „Das Reiten hält mich fit und macht Spaß“, sagt der 75-Jährige lachend. Er ist fitter als so mancher 30-Jährige, ein Ausritt mit ihm ist ein echtes Erlebnis. Auch er gibt mir ein äußerst gutmütiges Pferd, die leicht zu reitende Hannoveranerstute Sinderella. Ich sitze entspannt im Sattel, selbst im Trab, und höre zu, wie Schulz kurzweilig von der Insel berichtet, von den Schweden, die immer wieder über Poel herrschten, von der Hanse und von den Poelern: „Hier lebten immer freie Bauern“, sagt er stolz.

Im Sommer, erzählt Schulz, kommen viele Kinder aus den Mutter-Kind-Kur-Heimen zum Reiten. „Die Mütter sagen dann oft: Ich will auch mal wieder. Viele träumen davon, einmal am Strand und im Wasser zu reiten“, sagt Schulz. „Reiten verlernt man zum Glück nicht, das gibt nur Muskelkater.“ Den werde ich auch spüren, und zwar noch Wochen später. Es wird der schlimmste meines Lebens sein.

"Ich bekomme das ruhigste Pferd: Heidi, eine Schimmelstute. Eine gute Wahl, es klappt prächtig mit uns."
"Ich bekomme das ruhigste Pferd: Heidi, eine Schimmelstute. Eine gute Wahl, es klappt prächtig mit uns."

© Mike Wolff

Aber noch ahne ich nicht, was mir bevorsteht. Erst einmal beginnt der Teil meines Besuchs, auf den ich mich am meisten gefreut habe. Was für andere der Ritt am Strand ist, ist für mich ein Galopp über ein Stoppelfeld. Schon als Kind habe ich davon geträumt, sogar Bilder davon gemalt, ohne dass ich zu solch einem Ausritt die Gelegenheit gehabt hätte. Wo findet man schon Stoppelfelder, auf denen man reiten darf? Auf Poel, im September, ist es soweit, mit Jahrzehnten Verspätung. Und nun sausen wir dahin! Ich will mich ganz dem Moment hingeben - aber ich muss mich sehr darauf konzentrieren, richtig im Sattel zu sitzen. Als Rehe neben uns her springen, weiß ich, dass ich einen magischen Moment erlebe.

Eine zweite tolle Galoppstrecke zeigt Schulz mir in einem Wäldchen ganz nah am Meer hinter den Dünen. Wir reiten einen breiten, komfortablen Reitweg entlang, fast wie eine Reitbahn, die durch einen grünen Korridor aus Laubbäumen und Gebüsch führt. Im Galopp höre ich das Meer rauschen, rieche es sogar, sehe es aber nicht. „Schadet ja nichts, mal kurz über den Deich zu schauen“, sagt Schulz und lenkt sein Pferd hinauf. Vor uns taucht die Ostsee auf, graublau und endlos liegt sie da.

Auf dem Rückweg schweift mein Blick über Koppeln voller Pferde. Elegante Schimmel, Braune und Füchse stehen dort, viele von ihnen Turnier- und Zuchtpferde. Schulz scheint sie alle zu kennen, auch die Pensionspferde. Er zeigt auf ein Pferd, das mit aufrechtem Hals und wehender Mähne über eine Weide galoppiert: „Der hat eigentlich Asthma, aber jetzt, nach mehreren Wochen auf der Insel, keucht er nicht mal mehr.“ Auf Poel kuren also auch Pferde. Und sie scheinen hier alt zu werden. „Das Pferd dort ist 29, und das 32 Jahre“, sagt Schulz. Wir erreichen wieder den Hof. Beim Absteigen schmerzt mein Rücken. Wahrscheinlich habe ich mich bei meinen Galopp-Eskapaden total falsch gehalten. Es wäre Zeit für ein paar Reitstunden, vielleicht ja auf der Insel Poel.

* * *

Tipps

Reitanlage Plath, Strandstraße 31, 23999 Timmendorf, Insel Poel, Tel. (038425) 207 60, reitanlage-plath.de

Gestüt Neuhof, Familie Schulz, Neuhof 20, 23999 Neuhof, Insel Poel, Tel. (0162) 315 71 88, gestuet-neuhof.de

Jetzt neu: Das Tagesspiegel-Magazin Ostsee .
Mehr als 1900 Kilometer Küste, Inseln, Bodden und historische Städte, die entdeckt werden wollen. Natur, Genuss & Kultur – Urlaub mit allen Sinnen. Baden, wandern paddeln, radeln: die schönsten Ziele auf 148 Seiten.
Das Magazin ist zum Preis von 9,80 Euro im Handel erhältlich oder versandkostenfrei im Tagesspiegel-Shop zu bestellen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false