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Politik: … es noch 100 Tage sind

Wie manches andere, so ist auch die „100-Tage- Frist“ eine amerikanische Erfindung. Sie stammt wahrscheinlich von Franklin D.

Wie manches andere, so ist auch die „100-Tage- Frist“ eine amerikanische Erfindung. Sie stammt wahrscheinlich von Franklin D. Roosevelt, der sein Präsidentenamt 1932 in der Weltwirtschaftskrise antrat, zur Behebung der Krise eine Reformpolitik namens „New Deal“ erfand und zu den Journalisten sinngemäß sagte: „Bis mein New Deal wirkt, dauert es 100 Tage. Gebt mir bis dahin Schonfrist. Schreibt am besten gar nichts über die Regierung.“

Roosevelts Erfindung wurde, wie fast alle Erfindungen, in den folgenden Jahrzehnten technisch weiterentwickelt. Inzwischen ist es so, dass wir Journalisten in den ersten 100 Tagen einer Regierung extrem viel über die Regierung schreiben, am 100. Tag aber besonders viel. Heute begibt es sich, dass wir zwei 100-Tage-Fristen gleichzeitig begehen. Angela Merkel ist seit 100 Tagen im Amt, bis zur Fußball-WM unter Jürgen Klinsmann sind es auch 100 Tage. Dies ist eine historisch einmalige Doppelhundertkonstellation!

Jürgen Klinsmanns Personaltableau ähnelt dabei auffällig der Personallage in der Umgebung von Angela Merkel. Klinsmann hat seinen Edmund Stoiber, der ihm von außen auf altmännerhafte Besserwisser-Weise immer hineingrantelt (DFB-Chef Theo Zwanziger), er hat einen Friedrich Merz, den er kaltstellen musste, damit in der Kabine und bei den Medien Ruhe herrscht (Manndecker Christian Wörns), er hat einen Minister Seehofer, der ihm von Edmund Stoiber ins Team hineingezwungen wurde (Matthias Sammer), er hat sogar einen Wolfgang Schäuble, diesen nicht mehr ganz jungen Spieler, der zu gerne Mannschaftskapitän geworden wäre, und jetzt mit zusammengebissenen Zähnen Loyalität zeigt (Oliver Kahn). Einen Ballack hat Angela Merkel offenbar nicht im Kabinett. Bei Gerhard Schröder spielte bekanntlich Joschka Fischer auf der Ballackposition. Weltmeister sind wir auf diese Weise jedenfalls nicht geworden.

Klinsmann hat sofort ein scharfes Reformtempo angeschlagen. Neue Strukturen. Mutige Schritte, klare Richtung. Rote Trikots. Die Folge: dauernd Streit. An Klinsmann kann man erkennen, was passiert, wenn einer die Reformen, von denen so gerne geredet wird, tatsächlich in Angriff nimmt. Es wird Klinsmann vielleicht wie Napoleon gehen, der nach längerem Auslandsaufenthalt wieder zu Hause landete und in Waterloo von den alten Mächten vernichtend geschlagen wurde, wie der Zufall es wollte, nach genau 100 Tagen.

In 100 Tagen beginnt wahrscheinlich der Sturz von Klinsmann. Denn Napoleon wurde sogar Weltmeister, und endete trotzdem in der Verbannung. mrt

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