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In Birma wurde gewählt: Demokratie aus der Trickkiste

Für Tin Min war es ein feierlicher Akt. Zum ersten Mal seit 20 Jahren durfte er in dem von der Welt abgeschotteten Land eine eigene Stimme haben. Er zog sein bestes Hemd an, machte das Häkchen - und stolperte.

Das Versprechen auf eine bessere Zukunft ist 30 Zentimeter hoch und aus Beton. Eine scharfe Kante trennt es von der Realität. Dort, wo der neue Straßenbelag nicht weiter verlegt worden ist und hart gegen den steinigen Schottergrund abfällt. In Erdmulden sammelt sich Wasser, Staub wirbelt auf. Wenn es nach der Union Solidarity Development Party (USDP) geht, wird das bald Geschichte sein. Dann wird 30 Zentimeter dicker Beton überall die Straßen bedecken, die Birmesen hatten die Wahl.

Sie mussten nur die richtige Partei wählen. In der USDP ist die Militärkaste Birmas organisiert. Deren Kandidaten hatten vielerorts neue Straßen versprochen vor der ersten demokratischen Wahl seit 20 Jahren am gestrigen Sonntag. Es wurde auch angefangen zu bauen, mal nur eine Straßenseite betoniert, mal ein Teilstück. Damit die Leute sehen konnten, wie angenehm es wäre, auf einer glatten Fläche und bei Regen nicht im Matsch zu gehen. Doch zu Ende bauen wollte das Regime der Generäle die Straßen erst, wenn es gewählt wäre. „Da fällt es vielen Menschen schwer, nicht die USDP zu wählen“, sagt Tin Win.

Er ist schon früh am Morgen in einem der ärmeren nördlichen Stadtteile von Rangun aus einem Wahllokal getreten und beinahe gestolpert über die hohe Kante zwischen alter Straße und Wahlversprechen. Eine komplizierte Prozedur liegt hinter ihm. Die Junta hatte sich auf den Tag gut vorbereitet, bewaffnete Präsenz ist kaum zu sehen. In einigen Stadtteilen von Rangun waren Funktionäre in den vergangenen Tagen ausgeschwärmt und hatten den Wählern kleine weiße Zettel in doppelter Briefmarkengröße gebracht. Darauf standen Name und eine Wählernummer, mit der sie in den ausgedruckten Listen schneller gefunden werden konnten.

Auch Tin Win, dessen wahrer Name zu seinem Schutz unerwähnt bleiben soll, hatte einen solchen Zettel erhalten. Zunächst wurde ihm ein Wahlzettel fürs Unterhaus ausgehändigt, er ging in eine Wahlkabine, die von drei Seiten mit blauem Sichtschutz versehen war, machte seinen „Tick“, das vorgeschriebene Häkchen, warf den Zettel in eine Art Wäschebox aus milchigem Plastik. Weiter ging es in den nächsten Raum fürs Oberhaus, dann weiter in den Raum für eins der 14 Regionalparlamente, 1100 Abgeordnetensitze waren zu vergeben. „Drinnen war alles in Ordnung“, berichtet der schlaksige Mann nun. Für den Tag hat er sich in einen besonders leuchtenden Longyi, den traditionellen Wickelrock, und ein weißes Hemd geworfen. Es ist ein wichtiger Tag für ihn.

Ob es auch ein großer Tag für das Land wird, das seit Jahrzehnten ein von der Weltöffentlichkeit abgeschirmtes Dasein fristet, darüber gehen die Stimmen in Birma auseinander. Die vom umstrittenen Verfassungsreferendum vor zwei Jahren vorbereitete Wahl ist Teil eines Sieben-Schritte-Programms. Am Ende soll stehen, was die Machthaber eine „disziplinierte Demokratie“ nennen. Denn Demokratie sei, so hatte die Staatszeitung dieser Tage angemerkt, „ein guter Freund, aber ein schlechter Meister“.

Wird aus der Wahlurne in Birma darüber eine Trickkiste? Aus dem Magwe-Distrikt, in dem zuletzt der Zyklon Giri schwere Zerstörungen angerichtet hatte, berichten an diesem Morgen Beobachter, dass die USDP alle noch verfügbaren Lebensmittel aufgekauft habe, um die Menschen mit Essensspenden zur Stimmabgabe für sich zu gewinnen.

Wie fair konnten Wahlen überhaupt sein, bei denen das Militärregime im Vorfeld bereits wichtige Weichenstellungen vorgenommen hatte?

So ist ein Viertel der Parlamentssitze von der Abstimmung ausgenommen und für Soldaten reserviert, was auf eine Sperrminorität hinausläuft. Die Partei der Dissidentin Aung San Suu Kyi war gar nicht erst angetreten und rief zum Boykott auf, USDP-Kandidaten stellten in vielen Orten die einzigen Bewerber.

Zwischen der Bekanntgabe des Wahltermins bis zum Ende der Registrierungsfrist für die Kandidaten waren nur zwei Wochen vergangen. Die 37 Parteien hatten für jeden von ihnen 500 Dollar zahlen müssen, bei einem Durchschnittsjahreseinkommen von 450 Dollar eine horrende Summe. So konnte die Opposition längst nicht in allen Kreisen antreten.

Vielleicht sind deshalb in der schwülen Morgenhitze nur wenige Menschen unterwegs. Während es in den Armutsvierteln Thaketa oder Shwe Pyi Thar, wo die meisten Menschen leben, punktgenau um sechs Uhr zum ersten Mal aus dem Lautsprecher schallt, „Das Wahllokal ist geöffnet, kommt alle wählen“, herrscht in Ranguns Innenstadt bleierne Stille. Ein Straßenkehrer ist aktiv, ein Rudel Hunde beobachtet ihn, der Polizist am Kreisverkehr liegt in seinem Häuschen noch unter seiner Decke und schläft. Lediglich ein paar ältere Damen haben sich fein gemacht, im Sonntagslongyi. Mit Portemonnaie und Ausweis in der Hand schreiten sie los. Eine hat ihren Enkel am Arm, sie ist nicht mehr gut zu Fuß. In wenigen Minuten haben sie ihre Kandidaten ausgewählt und „abgehakt“. Und schon stehen sie wieder draußen, kaufen an der Ecke ein Dutzend Doppelstangen Fettgebäck, bevor sie zum Frühstück heimkehren. Als wäre es die normalste Sache der Welt, in diesem Land eine Stimme zu haben.

Vor 20 Jahren war das ganz anders. Damals, erzählen die, die dabei waren, bildeten sich vor den Wahllokalen Schlangen so lang, dass nicht einmal alle, die wollten, ihre Stimme abgeben konnten. Es gewann die Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Suu Kyi, die alle die Lady nennen, mit atemberaubenden 80 Prozent. Die Junta-Partei der Nationalen Einheit, NUP, errang nur zehn Mandate. Das gefiel den regierenden Generälen gar nicht, sie erkannten das Ergebnis nicht an, verunglimpften die Friedensnobelpreisträgerin und verordneten ihr Hausarrest. 15 Jahre hat sie seither in Haft oder festgehalten in ihren eigenen vier Wänden verbracht. Soll die Gewaltherrschaft nun mit einer Scheinwahl legitimiert werden?

In manchen Familien und unter Menschen, die sich gut zu kennen glaubten, ist über diese Frage Streit ausgebrochen. Einen Tag vor dem Urnengang 70 Kilometer von Rangun entfernt treffen sich zwei Freunde in einer Teestube in Bago. Sie diskutieren laut. Der eine, ein schmaler, zurückhaltender Mann mit großen Ohren und wachen braunen Augen, sieht es als seine Pflicht an zu wählen. Gut angezogen will er sein, ein Stehbundhemd tragen. „Dann gehe ich ins Kino, zum Auszählen der Stimmen um vier bin ich wieder da. Ich will wenigstens in meinem Wahlkreis das Ergebnis kennen“.

Trotzdem ist er hin- und hergerissen, denn er verehrt Suu Kyi „als Mensch, wie meine Mutter“, sagt er. „Wenn sie angetreten wäre, hätte ich sie gewählt. Schließlich hat sie ihr Leben für uns geopfert.“ Aber sie trat nicht an, ihre Nationale Liga auch nicht. Dafür aber eine Splitterpartei. Und so, sagt Kyaw Min, müsse man die Verehrung der Person von der Politik trennen. „Sie hat in all den Jahren nicht gelernt, mit den Militärs zu verhandeln. Sie hat die Konfrontation gewählt.“ Das alles habe für die Menschen außer Stillstand nichts gebracht. Dass sich mit der Wahl viel ändern werde, glaubt er allerdings nicht. „Die Generäle denken vor allem an ihre Sicherheit, damit ist ihr Hirn voll. Da ist kein Platz mehr, sich Gedanken über Demokratie zu machen.“

Während Kyaw Min glaubt, dass der große Schritt Richtung Freiheit die nächste Wahl 2015 bringen werde, kann sein Gegenüber bei solchen Worten kaum still sitzen. Der rundliche Akademiker mit Brille und frech aufstrebenden Haaren war schon 1988 politisch aktiv, als es nach politischen Unruhen zu tausenden Toten in Rangun kam. Er hat auch die Fälschungen bei der Abstimmung zur Verfassung 2008 nicht vergessen. Immer wieder gießt er sich grünen Tee ein, den es in Birmas Teehäusern gratis gibt. Das süße chinesische Gebäck lässt er achtlos liegen. Für ihn wäre es ein Verrat, zur Wahl zu gehen.

Bildnisse seiner Idole, von Suu Kyi und ihrem Vater, trägt er eingeschweißt in einer Tasche über dem Herzen. Ungeniert holt er das Plastikkärtchen heraus und legt es auf den Tisch. Er spricht laut und forsch, dabei haben ihn seine offenen Worte schon mehrfach hinter Gitter gebracht. Suu Kyi ist für ihn Birma. Nächste Woche, wenn ihr Hausarrest am 13. ausläuft, müsse man die Lady endgültig freilassen, ebenso die etwa 2100 anderen politischen Häftlinge, davon ist er überzeugt. Es werde nicht lange dauern, in spätestens ein, zwei Monaten werde es einen Aufruhr geben, verkündet er, ehe er sich seinen Helm aufsetzt und auf einem Moped zwischen Touristenbussen davonfährt.

Kyaw Min bleibt zurück. „Ich muss seine Meinung akzeptieren, er ist ein guter und gebildeter Mann“, sagt er. „Aber wir nennen diese Leute Utopisten. Das hat nichts mit der Realität zu tun.“ Und listig fügt Kyaw Min hinzu: „Wir können wählen zwischen guten Straßen und einer guten Regierung.“

Richard Licht[Rangun]

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