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Politik: ...Politiker alt aussehen müssen

Heute backen wir uns einen Politiker nach unserem Herzen. Oh, er sollte sich in allen Tricks und Kniffen seiner Branche auskennen, aber sein Leben überwiegend in politikfernen Berufen wie Postzusteller oder Chemielaborant verbracht haben.

Heute backen wir uns einen Politiker nach unserem Herzen. Oh, er sollte sich in allen Tricks und Kniffen seiner Branche auskennen, aber sein Leben überwiegend in politikfernen Berufen wie Postzusteller oder Chemielaborant verbracht haben. Er sollte jahrzehntelange Lebenserfahrung besitzen, aber cool und jung genug wirken, um ohne Diskussion in jede Disco eingelassen zu werden. Durchsetzungskraft und Sensibilität sind unerlässlich, dazu ein Herz für alle erdenklichen Minderheiten, denen der Politiker aber selbst lieber nicht angehört. Am besten, er ist eine 44jährige Frau mit fünf Kindern, die in den Stillpausen in Astrophysik promoviert hat und dennoch dermaßen Klartext redet, dass selbst tätowierte Trucker rote Ohren kriegen.

Hohe Anforderungen! Es gibt in dieser Frage freilich Autoritäten. Wolfgang Thierse ist eine solche, und er hat jetzt in Interviews seine Furcht vor „innerlich ungefestigten Menschen“ in der Politik zu Protokoll gegeben. Das sind für ihn vor allem jene, die im Alter von 18 oder 19 Berufspolitiker werden. „In 30, 40 Jahren, denke ich mir, müssen das irgendwie Krüppel sein.“

Gut, ja. Interessanterweise bezieht der Bundestagspräsident dies nicht in gleicher Weise auf andere Berufe. Er hat nicht gesagt: „Ich rate niemandem dazu, schon mit 19 Hotelportier zu werden, da kriegt man doch noch vor der Rente unheilbare Plattfüße.“ Oder: „Gleich nach der Schule Berufssoldat? Bloß nicht, das müssen doch in 30, 40 Jahren irgendwie alles Generäle sein.“ Nein, das hat er auch nicht gesagt. Unsere Tante Erna fand für diese Auffassung einst etwas schlichtere, aber nicht weniger bündige Worte: „Politik verdirbt den Charakter.“ Seht ihr, sagt sie jetzt, das meint ja sogar der Thierse.

Es fehlt den Aussagen des Präsidenten noch ein wenig an harten Fakten. Er müsste im Detail darlegen, wie die ungefestigten Jung-MdBs in ihrer Haltlosigkeit bei Staatsakten heimlich das Band mit der Orchestermusik gegen eines mit brachialen Hiphop-Rüpeleien austauschen, wie sie besinnungslos Aufsichtsratsmandat auf Aufsichtratsmandat häufen, wie sie sich auf der Lohnliste niedersächsischer Automobilkonzerne niederlassen und dort Geld fürs Nichtstun kassieren. Bitte? Die jungen MdBs tun das alles nicht? Machen nur die älteren?

Ja, dann wollte Thierse offenbar andeuten, dass sehr junge Berufspolitiker an sich völlig okay sind, bevor sie nach 30 oder 40 Jahren zu Krüppeln werden. Aber woran würden wir das Eintreten dieses Zustands erkennen? Daran, dass die Bürger sie zum Kanzler oder bayerischen Ministerpräsidenten wählen? Mag sein. Aber so kann Thierse das auch nicht gemeint haben.bm

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