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Politik: ...Serbien etwas ausprobiert

Joachim Kardinal Meisner, dem wir hier eine gewisse Weltfremdheit von Amts wegen nachsehen wollen, war im Jahre 1980 mal in Kreuzberg. Löblich ist das, wenngleich auch, wie man in Köln zu singen pflegt, „verdamp lang her“.

Joachim Kardinal Meisner, dem wir hier eine gewisse Weltfremdheit von Amts wegen nachsehen wollen, war im Jahre 1980 mal in Kreuzberg. Löblich ist das, wenngleich auch, wie man in Köln zu singen pflegt, „verdamp lang her“. Leider ging der Praxistest des Gottesmanns daneben – oder soll man doch sagen, Gott sei Dank? Meisner nämlich kam seinerzeit an einem Zeitungskiosk vorbei und war „entsetzt über die dort ausgehängten Zeitschriften mit pornografischem Inhalt“.

Na und, werden Sie, lieber TagesspiegelLeser, nun vielleicht einwenden, das gibt’s in Köln doch auch, dazu muss der nicht extra nach Kreuzberg anreisen … Gemach, gemach.

Denn dem Kardinal sind nicht etwa die üppigen Brüste auf lüsternen Schundheftchen in Erinnerung geblieben, wohl aber das beherzte Einschreiten einer ebenfalls des Weges kommenden Muslimin, wovon, nebenbei bemerkt, es in Kreuzberg ja jede Menge gibt. Die gute Frau riss das ganze Zeug kurzerhand vom Kiosk herunter, selbstredend sehr zum Wohlgefallen Meisners, wiewohl – und das ist kein Paradoxon – auch zu dessen Bekümmernis. „Ich habe“, sagt der Kölner Kardinal noch heute, 24 Jahre danach, „mich geschämt und gedacht: Warum habe ich das nicht gemacht?“

Das wissen wir leider auch nicht, vielleicht hat sich Meisners abendländisch-humanistische Erziehung letztlich als Hemmschuh erwiesen. Uns ist diese Episode wichtig, weil sie zeigt, dass der eigene Wertehaushalt bei Menschen, die im Alltag in höheren Sphären schweben, gelegentlich in Bodennähe überprüft werden sollte.

Schön wäre das, wenn dies öfter geschähe, dabei denken wir, gerade in diesen Tagen, an unsere Politiker. Wie wäre es, sie mischten sich ungezwungen unters Volk, als, sagen wir: Taxifahrer? In Serbien läuft seit geraumer Zeit exakt dieser Feldversuch, mit großem Erfolg, so ist zu hören, allein schon deswegen, weil die teilnehmenden Politiker, eingezwängt hinter dem Steuerrad, nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen, dem Volke zu entkommen. Wer weiß, vielleicht ginge bei uns sogar mal eine Tour nach Kreuzberg, und Meisners oder eine andere Muslimin würde schimpfen: Alles Parallelgesellschaften, nirgendwo findet man hier vernünftige Semmelknödel! Oder so. Ja, und dann würden Schröder oder Merkel oder wer sonst gerade Taxi-Dienst hat, die eigene Haltung basis-demokratisch durchdenken.

Ob auch unser Kardinal nochmal ans Steuer sollte? Nicht nötig, er zehrt noch immer vom Wertbewusstsein, das er seinerzeit in Kreuzberg erleben durfte: „Also, wenn ich überzeugter Türke wäre, würde ich doch nicht nach Europa wollen, nur wegen des Euro“. Vbn

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