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Politik: … unser Lieblingslexikon verstummte

Es gibt Konstanten im Leben des modernen Journalisten, die sich nicht ändern. Zum Beispiel diese: Wenn schnell irgendeine Frage zu klären ist, klicken wir Wikipedia an.

Es gibt Konstanten im Leben des modernen Journalisten, die sich nicht ändern. Zum Beispiel diese: Wenn schnell irgendeine Frage zu klären ist, klicken wir Wikipedia an. Aus dieser mit 330 000 deutschen Beiträgen voll gestopften Website erfahren wir in aller Regel mehr, als irgendjemand für das Tagesgeschäft wissen muss, und das meiste stimmt sogar. Ein Beispiel? Verdammt, was ist das? „Domain wikipedia.de derzeit außer Betrieb“?

Ja, da bricht Panik aus. CIA? Islamisten? Ein Hackerangriff? In gewisser Weise war es tatsächlich ein Hackerangriff, und er kam aus dem Jenseits. Der Urheber: Tron, jener junge, in der Szene legendäre Berliner Informatiker, der im Oktober 1998 in einem Neuköllner Park erhängt aufgefunden worden war. Der Fall wurde in alle Richtungen untersucht und als Selbsttötung eingestuft, was freilich unsere Verschwörungstheoretiker nicht vom Basteln verschiedener Verschwörungstheorien abhielt. Hatte Tron nicht kurz vor seinem Tod ein abhörsicheres Telefon entwickelt, das verschiedenen Geheimdiensten die Arbeit schwer gemacht hätte? Zu dieser Zeit war Wikipedia allenfalls eine Idee. Erst drei Jahre später ging die erste Lexikonseite ans Netz.

Wikipedia berichtet darüber, nennt aber auch den vollen Namen Trons, der in der Presse mit wenigen Ausnahmen immer nur als „Boris F.“ bezeichnet wurde. Seine Eltern wollten das nicht hinnehmen: Sie haben jetzt die einstweilige Verfügung erwirkt, die dem deutschen Wikipedia-Verein verbietet, auf die Seiten des in Amerika stehenden Servers – de.wikipedia.org – weiterzuleiten, solange dort Trons voller Name gespeichert ist.

Den kennen natürlich alle, die sich mit der Affäre näher befasst haben, und seit gestern sind es noch ein paar tausend mehr. Denn was gäbe es Verlockenderes für uns Internetsüchtige, als pfeilgerade nachzuforschen, warum Wikipedia.de abgeklemmt ist? Ein paar Klicks, und schon steht da der Name. Na und? Ebenso schnell, wie er gefunden ist, ist er auch wieder vergessen. Tron bleibt Tron, denn Boris F. war schon in den Jahren vor seinem Tod nur ein Zweitname.

Aber so ist es nun einmal, das Internet. Wer es abschotten will, kann genauso gut versuchen, die Nordsee mit dem Pümpel zu verstopfen. Es wird vermutlich noch ein paar juristische Fingerhakeleien geben, und am Ende steht der volle Name Trons dann immer noch im Server, oder auch nicht.

Wikipedia kann das nicht schaden. Der Beitrag über den toten Berliner Hacker wird am Ende einfach einen interessanten Absatz länger werden. sag

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