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Politik: … wir Bundeskanzlerin sind

Schon wenige Tage nach dem 11. September hat die Bundeskanzlerin wegen einer Schwarzgeldaffäre das alte Europa verlassen, spontan kam es zu Protestaktionen, hauptsächlich von Hartz-IV-Empfängern, die ihren Unmut darüber kundtaten, nun mit dem sprichwörtlichen „Teuro“ allein gelassen worden zu sein.

Schon wenige Tage nach dem 11. September hat die Bundeskanzlerin wegen einer Schwarzgeldaffäre das alte Europa verlassen, spontan kam es zu Protestaktionen, hauptsächlich von Hartz-IV-Empfängern, die ihren Unmut darüber kundtaten, nun mit dem sprichwörtlichen „Teuro“ allein gelassen worden zu sein.

Oder so. Gut, der Satz hat einen landestypischen Drall ins Misanthropische. Andererseits und immerhin vereint er sämtliche „Worte des Jahres“, die die Gesellschaft für Deutsche Sprache in diesem Jahrhundert zu selbigen gekürt hat. 2005 also: „Bundeskanzlerin“, was, je nach Perspektive, als Lichtblick oder Kontinuum in der losen Folge jener düsteren Vorgängerbegriffe interpretiert werden kann, wie „Schwarzgeldaffäre“ (2000), „Der 11. September“ (2001), „Teuro“ (2002), „Das alte Europa“ (2003) oder „Hartz IV“ (2004).

Bitte, hätte es nicht ausnahmsweise auch mal ein lustiges Wort sein können – „Bundeskanzleringatte“, zum Beispiel? Das kitzelt im Ohr und deckt symbolisch trotzdem passabel die tiefen Veränderungen ab, die sich in unserem Land ereignet haben; zudem hätte es für einen sozialkritisch amüsanten Randaspekt gesorgt: Man hätte den „Bundeskanzleringatten“ nämlich für eine Rolle auszeichnen können, die er partout nicht einnehmen will. Chance verpasst!

Klar, so etwas gehört nicht zum originären Aufgabenbereich der Gesellschaft für Deutsche Sprache. Extra scharf sei hier auch dem Eindruck entgegengetreten, die Wiesbadener Germanisten klamüserten alljährlich mit besonderer Hingabe nur stark senkbleihaltige Substantive aus dem Vokabular. 2005 war es leidlich anders. So lässt sich diesmal aus den um die ersten Plätze konkurrierenden Begriffen durchaus etwas Nettes zusammenstellen, etwa: Wir sind Papst, jubelte die Bundeskanzlerin und bestellte sich ein paar gebratene Heuschrecken und zum Nachtisch einen Tsunami, nur einen kurzen Moment irritiert darüber, dass der Kellner grinsend von dannen zog.

Kurzer Rückblick: Den 11. September mal ausgenommen, haben sich im Lauf der Zeit die „Worte des Jahres“ zu ganz manierlichen Umgangsvokabeln entwickelt. Schwarzgeldaffäre? Längst ausgesessen. Vom „Teuro“ redet kein Mensch mehr und bei Hartz verschiebt sich das Allgemeininteresse derzeit ein wenig hin zu der Frage, wie oft wohl der Namensgeber im Puff war. Man sieht: Fast nix wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Schon 2006 wird uns „Bundeskanzlerin“ flott über die Lippen gehen, und 2021 machen wir uns lustig darüber, dass das damals, vor 16 Jahren, zum Wort des Jahres taugte. Vbn

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