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Politik: ... wir zu nix verpflichtet sind

Mit der Sprache der Diplomatie beispielsweise ist das so eine Sache. Es gilt das gesprochene Wort – nur was es bedeuten soll, da kann sich jeder seinen Teil denken.

Mit der Sprache der Diplomatie beispielsweise ist das so eine Sache. Es gilt das gesprochene Wort – nur was es bedeuten soll, da kann sich jeder seinen Teil denken. Aus den Amtszeiten von weiland Joschka Fischer hat sich die ebenso unverbindliche wie bedeutungshubernde Formulierung „Ich will nicht spekulieren“ in den deutschen Sprachschatz geschlichen. Noch heute ist dies ein gern genommener Euphemismus für: keine Ahnung/weiß ich auch nicht. Seinerzeit war die oben erwähnte Floskel allerdings meist eine nur mit sparsamster Höflichkeit kaschierte Aufforderung, derart dämliche Fragen wie die vorgelagerte demnächst gefälligst für sich zu behalten.

Es stimmt schon: Selten genug sind in den vergangenen Jahren wirklich kreative Neuheiten bei der Kommunikation im öffentlichen Raum zu verzeichnen gewesen. Immer noch ist das „Ja gut, äh …“ ein Klassiker, wenn samstags kurz nach Schlusspfiff in der Sportschau bei den Bundesligakickern nachgebohrt wird, warum es mal wieder mit der Viererkette nicht geklappt hat.

Nun aber hat der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki eine Formulierung geliefert, womit man vielleicht sagen darf, dass Günter Grass’ Mitgliedschaft in der Waffen-SS wenigstens für etwas gut war. Reich-Ranicki nämlich, von Journalisten auf besagten Tatbestand angesprochen, hat dieser Tage gesagt, er sei nicht verpflichtet, sich dazu zu äußern.

Eine schöne Formulierung ist das, die den Alltag unseres medialen Miteinanders möglicherweise revolutionieren wird. Man denke nur an einschlägige Elefantenrunden mit unübersichtlichem Wahlausgang: Werden Sie mit den Roten koalieren, Frau Merkel? „Ich bin nicht verpflichtet, mich dazu zu äußern.“ Macht Opposition Spaß, Herr Westerwelle? „Ich bin nicht verpflichtet, mich dazu zu äußern.“ Hauen Sie den Iran auch noch weg, Mister Bush? „All options are … äh, ich bin nicht verpflichtet, mich dazu zu äußern.“

So ungefähr könnte das gehen. Zackzack. Nächste Frage, gleiche Antwort. Freiraum wäre, ja Freiheit, Sendezeit im Fernsehen und Platz in der Zeitung.

Bitte, wer ist schon zu irgendwas verpflichtet? Eine Gesellschaft könnte sich offensiv anschweigen, bis irgendwann nur noch redet, wer was weiß. Das wären dann schon wenige genug.

Neue Talkshows im Fernsehen könnten entstehen, sie hießen „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Si tacuisses philosophus mansisses“. Oder: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Oder so. Die Sendezeiten wären verschieden, aber die Anmoderation wäre immer die gleiche: „Guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Gäste, Sie sind nicht verpflichtet, sich zu äußern!“ Vbn

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