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Alle Wege führen nach Berlin. Der Potsdamer Platz im Jahr 1920.

© imago/Arkivi

100 Jahre Groß-Berlin: Jetzt muss zusammenwachsen, was zusammengehört

Ob Digitalisierung oder Ansiedlungspolitik: 30 Jahre nach der deutschen Einheit müssen Berlin und Brandenburg die Kräfte bündeln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan Wiehler

Berlin kann in der Krise wachsen – und sogar über sich hinauswachsen. Zumindest historisch ist dafür der Beweis erbracht. Heute vor 100 Jahren, am 1. Oktober 1920, trat das Gesetz zur Bildung Groß-Berlins in Kraft. Über Nacht verdoppelte die deutsche Reichshauptstadt mit der Eingemeindung von bis dahin sechs kreisfreien Städten, drei umliegenden Landkreisen, Dutzenden zuvor selbstständigen Gemeinden und Gutsbezirken seine Einwohnerzahl auf 3,8 Millionen und stieg in die Liga der Weltstädte auf.

Der Kraftakt gelang unter denkbar schwierigen Bedingungen. Die junge Weimarer Republik, durchgeschüttelt von politischen Unruhen, ächzte unter der Milliardenlast von Kriegsschulden. Die maßgebliche, relativ knappe Mehrheit für das Groß-Berlin-Gesetz erlangten die in SPD und USPD gespaltenen Sozialdemokraten in der entscheidenden Abstimmung der verfassungsgebenden preußischen Nationalversammlung im April 1920 mit Stimmen der linksliberalen DDP – gegen das konservative Lager, das eine Übermacht des „roten Berlin“ in Preußens Kernland Brandenburg befürchtete.

Dabei war die Gründung Groß-Berlins weniger von roter Ideologie geleitet als vom Pragmatismus, den Ansprüchen der rasant gewachsenen Industriemetropole Rechnung zu tragen.

Auch wenn die Entwicklung durch den Ersten Weltkrieg ins Stocken gerät, der Aufbruchsgeist hat überlebt, davon zeugen die Großprojekte der Zwanzigerjahre, vom ambitionierten Siedlungsbau bis zum Ausbau der Verkehrssysteme – erstaunlich, wie viel davon Krieg und Teilung überdauert hat.

Wo bleibt die politische Willenskraft?

Heute wächst die Hauptstadtregion wieder. Und mehr denn je gilt in der globalisierten Welt: Die Zukunft liegt in den Metropolregionen. Doch von der politischen Willenskraft und Entschlossenheit von einst, die positive Entwicklung konsequent voranzutreiben und hemmende Grenzen zu überwinden, ist in Berlin und Brandenburg wenig zu spüren.

Länger als ein Vierteljahrhundert liegt der Volksentscheid über die Fusion von Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland inzwischen zurück. Die Vereinigung scheiterte am ablehnenden Votum der Brandenburger. Das Ergebnis der Abstimmung kann als verjährt betrachtet werden. Denn es wurde von der Lebenswirklichkeit eingeholt. Die Metropolregion ist längst zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum verschmolzen.

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Hunderttausende Berufspendler passieren täglich die Landesgrenze, in beide Richtungen. Unter dem Druck der Wohnungsnot und hoher Immobilienpreise suchen immer mehr Berlinerinnen und Berliner das Weite und finden neue Perspektiven im Brandenburger Umland, auch über den Speckgürtel hinaus. Inzwischen beleben junge Familien aus der Hauptstadt wieder Dörfer und Kleinstädte, die schon als abgeschrieben galten.

Kräfte bündeln

Berlin und Brandenburg können nur gemeinsam wachsen. Mit einer länderübergreifenden Behörde wie der Gemeinsamen Landesplanung ist es nicht getan, wenn gleichzeitig Jahre vergehen, ehe eine neue Busverbindung zwischen Berlin und Potsdam eingerichtet ist. Um erfolgreich im internationalen Wettbewerb der Metropolregionen mitzuspielen, müssen Berlin und Brandenburg ihre Kräfte bündeln.

[30 Jahre Deutsche Einheit: „Das nächste Mal machen wir es besser“ - Lesen Sie hier mit TPlus ein Interview mit Wolfgang Schäuble und Sabine Bergmann-Pohl]

Den Herausforderungen, die anstehen, um die Region fit für die Zukunft zu machen, sind sie nur gemeinsam gewachsen: die flächendeckende Digitalisierung, die für das Leben und Arbeiten auf dem Land unabdingbar ist, neue Mobilitätskonzepte, eine intelligente Ansiedlungspolitik für Unternehmen und Gewerbe.

Vor allem aber braucht es politische Akteure, die mit Überzeugung und Leidenschaft für die Einsicht werben, dass ein Land mit vereinten Kräften mehr erreichen kann als zwei gute Nachbarn allein. 30 Jahre nach der deutschen Einheit ist es höchste Zeit, dass in Brandenburg mit der pulsierenden Hauptstadt im Zentrum zusammenwächst, was zusammengehört.

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